Ich und die Bienen

Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Leonie Brockhaus, 23 Jahre

Ich war 6 Jahre alt, als das erste Mal eine Biene auf mir landete.
Ich war 6 Jahre alt, als meine Mutter mich mit einem Schrei aus dem Schlaf und vom Sofa riss und mit einer Zeitung auf mich einschlug. Ihre Augen waren riesig groß dabei und ich verstand erst kurz danach, dass sie mich nicht schlagen wollte, sondern nur die ganzen Bienen von mir runterkriegen wolle. Sie beruhigte sich, als die Bienen davon flogen und durch den offenen Fensterspalt nach draußen verschwanden.
Sie entschuldigte sich danach sofort, nahm mich ganz fest in die Arme und flüsterte erstickt, dass sie gedacht hatte, ich sei tot. Die ganzen Bienen auf meinem Gesicht und ob ich wirklich nichts davon gemerkt hätte. Ich schüttelte den Kopf und sie drückte mich nochmal ganz fest.
Ob ich Angst gehabt hatte, aber ich schüttelte den Kopf. Ich hatte keine Angst vor Bienen, ich fand sie süß.
Danach kamen die Bienen immer wieder zu mir, flogen um meinen Kopf herum, landeten auf meinen Haaren und auf meinen Armen.
Es gab nichts, was ich dagegen machen konnte, sie kamen einfach immer wieder. Ich gewöhnte mich daran, ich fing sogar an das Summen um mich herum zu mögen.

Ich war 12, als Charlotte aus der Schule, die immer in Deutsch neben mir saß, laut aufkreischte und so heftig mit dem Stuhl von mir wegrückte, dass sie umfiel. Sie hatte eine Biene in meinen Haaren gesehen und sie hatte Angst vor Bienen, und ob ich gewusst hatte, dass Bienen mich stechen konnten und bla bla bla. Ich konnte den hilflosen Blick meiner Deutschlehrerin sehen: Sie konnte ja nicht einfach die Bienen in meinen Haaren lassen, auch wenn ich ihr versicherte, dass es mir nichts ausmachte.
Es war nicht das letzte Mal, dass jemand eine Biene in meinen Haaren sah, aber die Bienen wurden vorsichtiger und flogen während des Unterrichts nicht mehr um meinen Kopf.
Mir wurde klar, dass die Bienen nicht wegfliegen würden.

Ich war 16, als mich ein Mann an der Bushaltestelle ansprach und mir sagte, dass er meine Haare schön fand. Ich bedankte mich und stieg in meinen Bus ein.
Ich merkte nicht, dass er mir folgte.
Die Bienen merkten es.
Das Summen um mich herum änderte sich so plötzlich, dass ich zusammenzuckte. Ich wusste nicht, was passierte, ich wusste in dem Moment nicht, was passieren würden, aber ich spürte und hörte ihre Aggression in der Luft um mich herum. Der Mann hinter mir schrie laut und panisch und ich hatte noch nie einen Mann in echt schreien hören. Ich sah hilflos zu, wie seine Arme in Bienenschwärmen verschwanden und hoffte so sehr, dass er nicht allergisch war.
Ich wählte den Notruf und lief weg.
Ich rannte nach Hause und das tröstende Summen über mir mischte sich mit dem Tatü Tata des nahenden Krankenwagens.

Ich war 18 Jahre alt, als die Bienen mich einhüllten und mit mir davonflogen.
Ich hatte keine Angst, auch wenn ich gar nichts sehen konnte und mein ganzer Körper voller Bienen war. Durch den Schwarm hindurch konnte ich unser Haus, und dann auch die ganze Straße sehen.

Ich fragte die Bienen, warum sie zu mir gekommen waren, aber ich verstand ihre Antwort nicht. Aber ich hörte die Bitten in ihrem vielschichtigen Summen, die Bitten, dass ich sie genauso beschützen musste wie sie mich.
Ich hatte schon immer alles über Bienen gelesen, was ich gefunden hatte. Ich hatte gewusst, dass sie es heute schwer hatten, neben Abgasen, Waldrodung, Milben und Pestiziden.
Ich begann noch in der Luft darüber nachzudenken, wie ich das ändern konnte.
Jemanden, der fliegt, kann man nicht aufhalten.

Ich wachte erst wieder auf, als ich landete. Ich hatte keine Ahnung, wo wir waren, oder wie lange ich geschlafen hatte, aber mein erster Tipp war Wüste. Der Boden war staubig und zerklüftet und es war sehr heiß.
"Afrika. Ägypten, um genau zu sein", sagte jemand hinter mir und ich fuhr herum.
Eine kleine dunkelhäutige Frau stand hinter mir und lächelte mich an.
"Was?!", entfuhr mir und ich sah mich hektisch um: "Ich bin in Afrika? Ich bin ernsthaft übers ganze Meer geflogen?“
„Ich bin Elisabeth.“
Sie hielt mir die Hand hin und winkte mich mit sich.
"Komm. Ich möchte dir etwas zeigen.“
„Aber -“
Elisabeth war schon losgegangen, deswegen folgte ich ihr hastig, lief hinter ihr den Hügel hinauf und blieb mit offenem Mund stehen.
Mitten in der Wüste standen Gewächshäuser, bestimmt 50 Meter hoch, so lang wie ein Fußballfeld, und mindestens 10 in einer Reihe. Alles glänzte und glitzerte von der Sonne und jedes Gewächshaus war ein eigener Wald, so unglaublich viel grün neben all der gelben Wüste.
"Was ist das für ein Ort?", fragte ich sie über das Summen hinweg und sie lächelte wieder.
"Schön oder? Ein reicher Mensch hat es uns geschenkt. Wir haben eine Oase gebaut. Für uns. Und für die Bienen."
Sie hob die Arme und innerhalb von Sekunden war ein riesiger Bienenschwarm um sie herum, viel größer als meiner.
"Wir können die Welt nicht retten, mein Kind. Wir können nur Teile davon retten. Wir können sicherstellen, dass es immer Bienen geben wird."
Ich starrte sie immer noch an und ihr Lächeln war jetzt vollständig verschwunden.
"Ich glaube, irgendwann wird die Welt verstehen, dass sie uns brauchen."
„Und wenn es dann schon zu spät ist? Wenn die Bienen dann schon alle tot sind?“, fragte ich leise und sie griff sanft nach meiner Hand.
„Es gibt immerhin noch Kinder wie dich. Kinder, die erwachsen werden und denen die Bienen wichtig sind.“
„Aber wenn das nicht reicht?“
„Wir haben viele Königinnen hier und sehr, SEHR viele Bienen", betonte sie zufrieden, wischte sich ganz sanft eine Biene von der Wange und setzte sie auf einer Blume ab.
"Du kannst hierbleiben, wenn du willst. Wir können jeden brauchen."
Wir waren am ersten Gewächshaus angekommen, sie setzte sich auf eine kleine Bank und klopfte neben sich.
"Und du bleibst einfach hier? Und wartest?"
"Wir warten", bestätigte sie leise und fuhr fort.
"Wir warten auf das Ende oder das Umdenken der Menschen. Je nachdem, was davon schneller ist. Aber wenn du hier bist, sind wir einen Menschen mehr vom Ende weg.

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Autorin / Autor: Leonie Brockhaus, 23 Jahre