Drei am Tresen

Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Anne D. Horn, 18 Jahre

An einem Tag, der weder gestern noch heute noch morgen war, trafen sich drei Gestalten in einer düsteren Bar am Tresen. Die erste Gestalt war korpulent, mit einem verschlissenen Umhang, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Mit einem keuchenden Husten schob die vernarbte Hand der Gestalt die Kapuze zurück. Ein pockennarbiger Mann mit beinahe schwarzen Ringen unter den Augen. Unbeeindruckt sah die Bardame ihn an. „Was darf es sein?“ „Mein Name ist Vergangenheit“, keuchte er, „geben Sie mir nichts, am Ende gehört mir alles.“ Schwungvoll drehte sich eine junge Person ein wenig abseits um. Vergangenheit runzelte missbilligend die Stirn. So oberflächlich, beschwingt und lebhaft. Wie ordinär!
„Hallo, hallo! Was soll denn diese missmutige Miene, alter Freund, ich lade dich ein. Was möchtest du, mir gehört gerade alles, mir wird immer alles gehören.“ „Gegenwart, nehme ich an!“, erklang eine Stimme hinter den beiden. Eine dürre Frau, das Haar unordentlich geschnitten, hatte sich ihnen genähert. Verhetzt sah sie auf die Uhr und setzte sich dann dazu. „Mich könnt ihr einladen, ich kann es später mal zurückzahlen, also... Aber schnell jetzt, ich werde erwartet!“ „Bezahle mich mit Geschichten, Zukunft“, erwiderte Gegenwart, während sie sich einen Gin orderte. „Geschichten, keine Versprechungen! Ich habe schon zu oft auf Geschenke gehofft, die ich nie in die Finger bekommen habe. Du deutest das Eine an und gibst Gegenwart das Andere. Und ich kriege dann die ganzen Enttäuschungen von Gegenwart. Gib dir Mühe, Zukunft“, betonte Vergangenheit. 
Zukunft trank das Glas mit einem Zug leer und bestellte ein neues. „Die wird saufen, bis du nichts mehr hast“, kommentierte Vergangenheit. „Ach macht doch nichts, es gehört am Ende immer dir, alter Freund“, rief Gegenwart und lachte laut. Einige andere Gäste drehten sich zu ihnen um. Es waren auch alte Bekannte dabei, doch niemand versuchte, sich am Gespräch zu beteiligen. Gegenwart war anstrengend, Vergangenheit düster und verletzend und Zukunft... inzwischen wirklich deprimiert – und beschwipst.
„Geschichten, Zukunft!“, rief Gegenwart lächelnd, „du hast es versprochen!“ „Außerdem gibt es keinen Grund sich zu betrinken“, ergänzte Vergangenheit, „Der Einzige, der ein Recht dazu hätte,  bin ich. All diese begrabenen Hoffnungen, Tote und Müll! Das hält niemand aus!“ „Wer sagt denn, dass ich Freude habe?“, zischte Zukunft, „Schon allein die Umwelt wird ganz zerstört werden.“
„Also gut, ein kleines Spiel“, rief Gegenwart lachend, „wer hat die schrecklichste Umwelt?“
„Der Sieg ist mein“, verkündete Vergangenheit, „Ich habe Eiszeiten, Dürren, Meteoriteneinschläge,  Ölteppiche und Fische voller Plastik in meine Arme geschlossen.“ „Aber du hattest auch so viel Schönes“, widersprach Gegenwart spielerisch. „Jahrtausende lang hat man kaum etwas von den Menschen gemerkt. Die ruinieren in meiner Zeit schon viel zu viel.“ „Ich schätze die Menschen“, entgegnete Vergangenheit, „Sie haben eine bewundernswerte Neigung, mir zu widerstehen, sie sind spannend. Wenn sie nicht so viele Katastrophen verursachen würden, wäre ich glatt versucht, sie zu mögen.“ „Sag nicht, du hast dich in eine so dämliche Spezies verliebt“, warf Zukunft ein. Sie schien ihren Tonfall nicht gänzlich unter Kontrolle zu haben, grinste dafür aber breit. „Absolut dämlich“, ergänzte Gegenwart, „Ich habe noch nie eine Spezies gekannt, die so viel von Genieße die Gegenwart erzählt und trotzdem nichts weiter tut, als zu jammern. Scheinheilig bis ins Mark.“
„Trotzdem, Zukunft“, zischte Vergangenheit, „Du musst mir verraten, wie lange die Menschen noch bleiben werden. Wie lange können sie in ihrer kaputten Umwelt überleben?“ „Der kaputten Umwelt, die sie kaputt gemacht haben“, betonte Gegenwart, „Sie sind unterhaltsam. So verletzlich, so von Selbstzweifeln zerfressen. Und glauben trotzdem an ihre eigenen Geschichten. Wahre Liebe, der Glaube an das Gute, all dieses lächerliche Zeugs. Ich will nicht behaupten, dass sie nicht witzig wären. Aber sie glauben nicht an mich. Behaupten, sie wollen nur im Moment leben und denken trotzdem bloß an dich, Zukunft!“ Zukunft behauptete daraufhin lallend, die Menschen seien unwichtig und vom Aussterben bedroht. „Sie haben's auch nich anders verdient“, fügte sie hinzu.
In der abgelegenen Bar außerhalb der Zeit schlug Vergangenheit Zukunft ins Gesicht. Gegenwart ging dazwischen. Drei Tische zerbrachen in jener Bar. Die Prügelei gewann jeder – für eine Weile. Vergangenheit behielt den Sieg natürlich für die Ewigkeit.
Zerschrammt humpelte jeder zu seinen Besitztümern. Die Umwelt, da waren sie sich einig, war ein gefährliches Thema. Obwohl alle drei sie liebten und bewahrten...
In den blutenden Händen der Vergangenheit explodierten Ölplattformen, Atombomben detonierten und Arten verschwanden.
Gegenwart warf nur einen kurzen, vor Verachtung triefenden Blick auf Menschen, die wegen dem giftigen Wasser krank waren. Auf der anderen Seite der Welt erschießt ein Wilderer einen der letzten Jaguare. Die Augen des Tieres sind glasig. Der Wilderer geht im Geiste den Gewinn durch, den er mit dieser Beute erzielen kann.
Zukunft war furchtbar verkatert. Doch sie war fast schon daran gewöhnt, es mit sich selbst nicht auszuhalten. Zukunft, die ewige Verliererin, von der keine Spezies mehr als auch nur eine vage Ahnung hatte. Wie immer war sie im Zwiespalt mit sich selbst. Natürlich war sie schon geschrieben. Aber da waren auch die Selbstzweifel. Würde all das Schreckliche, das sie besaß, wirklich in die Hände der Gegenwart wandern?

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Autorin / Autor: Anne D. Horn, 18 Jahre