Gefüllte Meere

Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Maj, 17 Jahre

„Halten Sie Ihren Collegeblock bereit. Sie sollten sich auf jeden Fall Notizen machen!“
Cita zog demonstrativ die Kappe von ihrem Kuli und steckte sie hinten auf das Stiftende. Ihr Boss griff einen Schlüssel aus seiner ausgebeulten Hosentasche und öffnete die doppelte Glastür. Die beiden betraten den Gang dahinter. Ihre Schuhe quietschten auf dem Linoleum. Nachdem sie dem Gang an unzähligen Türen vorbei gefolgt waren, bogen sie am Ende links ab und trafen bald auf ein Treppenhaus. Das Treppenhaus schien unendlich weit nach unten zu führen, zumindest kam es Cita so vor, als sie ihrem Boss hinter her rannte, der immer mindestens zwei Stufen auf einmal nahm. Schließlich waren sie ganz unten angekommen. Hier wartete ein Gewirr aus Gängen auf sie, doch ihr Boss wusste genau wo es lang ging. Immer wieder bog er ab, nie blieb er stehen, um sich zu orientieren. Mittlerweile war sich Cita nicht mehr sich, ob sie allein zurück finden würde. Endlich blieb er abrupt stehen. „Bitte vergessen Sie nicht, dass Sie ein Geheimhaltungsabkommen unterschrieben haben. Das gilt für ausnahmslos alles, was Sie innerhalb dieser Wände erfahren werden. Zeigen Sie die Notizen, die Sie machen, niemandem!“
Cita nickte eingeschüchtert, zum ersten Mal wirkte ihr Boss ein wenig gruselig auf sie. Er würde einer Praktikantin wohl kaum düstere Firmengeheimnisse aufbürden, oder? Bevor Cita noch länger darüber nachdenken konnte, drückte der Boss die Klinke der Tür herunter. Zu Citas Erstaunen war sie nicht abgeschlossen. Die beiden betraten einen fensterlosen Raum. Es dauerte einen Augenblick, dann sprangen die Neonröhren an der Decke nacheinander mit einem Knacken an. Fast der gesamte Platz im Raum wurde von drei großen, rechteckigen Aquarien ausgefüllt. Ein leises Surren wie von einer Maschine war zu hören, so unauffällig, dass Cita es sofort wieder ignorierte. Da ihr Boss nichts sagte, trat sie näher an eines der Aquarien heran. Fische circa so groß wie eine Handfläche kreuzten durch das Wasser. Mit ihren kleinen Glupschaugen blinkten sie Cita an und ihren Münder öffneten und schlossen sich geräuschlos immer und immer wieder. An ihren Seiten hingen zerfetzte Flossen herunter. Für die Fische schienen sie keinen erkennbaren Nutzen haben. Stattdessen bewegten sie sich mit Schwanzflosse am Ende fort, die sie hin und her schwenkten. Was Cita am Meisten stutzig machte, war das Schuppenmuster dieser Fische. Kein Muster glich dem anderen. Bunte Flecken und Streifen zogen sich durch die ansonsten braunen Schuppen der Tiere. Ohne den Blick abzuwenden, flüsterte sie fragend: „Was ist mit diesen Fischen los?“ Doch anstatt ihre Frage zu beantworten, nahm ihr Boss bloß ein Stück Plastikfolie und warf es von oben in das Aquarium rein. Sofort stürzten sich die Fische darauf und bevor Cita fragen konnte, was gerade passierte, hatten die Fische die Folie aufgegessen. Sie konnte es kaum fassen.
„Was Sie hier sehen, wird das Problem der Verschmutzung der Meere ein für alle mal lösen. Immer wieder hat man versucht Maschinen zu entwickeln, die Plastik zurück in Erdöl verwandeln. Dabei ist die viel einfachere Lösung doch, einen natürlichen Bioprozessor zu entwickeln, der Plastik direkt in verottbares Material verwandelt. Nun, nach Jahren der Forschung ist es unseren Wissenschaftlern gelungen: Sie haben den ultimativen Plastikfressenden Fisch gezüchtet. Bis zu dreißig Kilo täglich kann ein einzelner Fisch verspeisen. Gleichzeitig vermehren sich diese Tiere innerhalb von wenigen Wochen und sterben innerhalb von wenigen Tag, sobald sie kein Plastik mehr finden. Alles was zurück bleibt, ist Fischfleisch und Gräten, die verrotten und eine 0 prozentige Belastung für die Umwelt darstellen. Die Fische haben außerdem keine natürlichen Fressfeinde, das haben wir getestet. Anscheinend schmecken sie einfach zu ekelhaft, weswegen nicht einmal eine sehr hungrige Seekuh diese Fische anrühren würde.“
„Ernähren Seekühe sich nicht von Algen und Seegras?“ wagte Cita einzuwenden.
„Das tut nichts zur Sache. Mein Punkt ist, wir werden die Welt retten mit dieser Erfindung und wir werden steinreich sein! Als unsere Praktikantin werden Sie natürlich nichts davon abbekommen, aber immerhin können Sie live dabei sein, wenn wir Geschichte schreiben, das ist doch auch etwas, nicht wahr?“
„Aber was ist wenn die Fische irgendwelche Folgen für das Ökosystem haben, die Sie vorher gar nicht bedacht haben?“ All das kam Cita nicht sonderlich legitim vor.
„Seien Sie keine Spielverderberin! Unsere Erfindung ist doch großartig! Dank uns wird sich alles zum Guten wenden.“

5 Monate später
Plastikfressende Fische bevölkern alle Weltmeere. Innerhalb weniger Wochen ist sämtliches Plastik von den Fischen aufgefressen worden. Doch anstatt wie von den Forschern erwartet zu sterben, beginnen die Fische sich umso rasanter zu vermehren. Eine Zeitlang weiß niemand wirklich wie die Fische es schaffen ohne Nahrung zu überleben. Doch dann gelingt es einigen Wissenschaftlern doch noch die Nahrungsquelle der Fische ausfindig zu machen. Sie trinken das Wasser im Meer und atmen an der Oberfläche Kohlenstoffdioxid ein und als Abfallprodukt scheiden sie Plastik wieder aus. Der Nahrungskreislauf der Fische hat sich in Folge der Plastikknappheit umgedreht. Noch bevor es den großen Weltmächten mit vereinten Kräften gelingt alle Fische zu töten, sind die Meere wieder mit mehr Plastik gefüllt als vorher.

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Autorin / Autor: Maj, 17 Jahre