Das Ölproblem

Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Carlotta Knümann, 13 Jahre

„KLONK“ Aus der Küche hörte ich ein unterdrücktes Fluchen. Anscheinend war meinem Vater wieder eine seiner Dosen auf den Fuß gefallen, weil er sie nicht aufbekam. Meine Eltern arbeiteten beide in der selben Hundefutterfabrik und brachten regelmäßig misslungene Dosen mit ekelhaft stinkendem Hundefutter mit nach Hause. Und das, obwohl wir gar keinen Hund hatten. „Monimus bringst du deinem Vater bitte ein Pflaster mit!“, hörte ich meine Mutter rufen. Anscheinend hatte mein Vater sich zusätzlich mit dem Deckel in den Finger geschnitten. Als ich mit einer Packung Pflaster in die Küche kam, saß mein Vater auf einem Stuhl. Neben ihm eine Dose, an deren Deckel etwas Blut klebte. Dachte ich mir doch. „Mum hast du eigentlich schon das Geld für die Klassenfahrt überwiesen?“, fragte ich. „Nein, wir haben doch im Moment kaum Geld. Ist dir das nicht aufgefallen?“, fragte meine Mutter leicht genervt. „Doch schon, aber ich möchte doch so gerne mit meiner Klasse Skifahren gehen. Die Lapiner Piste ist die weltweit einzige Stelle, wo es noch natürlich schneit!“ „Lass den Jungen doch Skifahren gehen, Sally.“, schaltete sich mein Vater dazwischen. „Nein! Hast du mal in den Kühlschrank geschaut?“ Demonstrativ öffnete sie den Kühlschrank: er war leer, bis auf zwei Dosen abgelaufenes Hundefutter.

Ich hörte sie noch spät am Abend streiten, was nicht allzu selten vorkam. Aber ich hatte mich inzwischen damit abgefunden. Viele Leute hatten Geldprobleme, da das Erdöl mittlerweile fast aufgebraucht war und Verpackungen teurer, Plastik seltener und Arbeitsplätze ebenfalls immer weniger wurden. Aber die Leute von früher haben das Erdöl in ziemlich unnötige Dinge verschwendet, wie z.B. Gummibärchen, die in einer großen Plastiktüte in zwanzig kleinere Tütchen verpackt waren. Und wir, 2252, müssen mit den Konsequenzen leben. Naja, selbst wenn wir noch genug Öl gehabt hätten, würden die Menschen 3252 sich über uns beschweren. Irgendwer wird immer das Öl leergemacht haben.
Meine Eltern schienen sich beruhigt zu haben. Also ging ich die Treppe runter, setzte mich zu ihnen auf das Sofa und sah mit ihnen die Nachrichten im Fernsehen an. Es ging hauptsächlich um die Kriege um die letzte Erdölstelle in der Sahara. Mit dieser letzten Ölquelle war es nämlich so, dass jedes Land um das Öl kämpfte. Und langsam, aber sicher, schienen wir uns selbst zu vernichten. Das Abendessen schmeckte irgendwie seltsam. Das Hundefutter war sogar noch ekelhafter als sonst. Als ich in mein Zimmer ging, war ich sehr müde und schlief sofort ein.

Als ich wieder aufwachte, musste ich mich übergeben. Die Sonne schien mir ins Gesicht. Ich schaute mich um: Ich lag am Rand der Wildnis, wie wir die riesigen Müllberge außerhalb der Stadt nannten, im Dreck. In meiner Hand fühlte ich ein Stück Papier, auf dem etwas geschrieben stand:

Monimus, deine Mutter und ich halten es für das Beste, wenn du von nun an etwas selbstständiger wirst und alleine lebst. Wir können dich nicht mehr durchfüttern und wir denken, dass du mit 16 Jahren alt genug bist, um allein zurechtzukommen. Dad

Sie hatten mich verstoßen. Ich war obdachlos. Doch was mich wirklich schockierte, war, dass mein eigener Vater mein Alter nicht kannte. Ich war 15 und nicht 16. Es ist hier in der Gegend schon ein paar Mal vorgekommen, dass Eltern ihre Kinder verstoßen haben, weil sie sie nicht mehr ernähren konnten. Aus dem Fernsehen kannte ich die Wildnis bereits, aber die Aufnahmen schienen ein paar Jahre alt zu sein, denn die Berge, die ich sah, waren etwa zehnmal so groß wie die, mit denen sie immer versuchten uns ein schlechtes Gewissen zu machen. Ich sah mich sofort nach Nahrung um und fand sogar etwas: eine nur leicht schimmelige Banane und einen großen Pappkarton. Ich rieb das Fruchtfleisch an ein Stück der frischen Pappe um ihr etwas mehr Geschmack zu geben. Es war jetzt nicht das beste Essen, aber es war ganz okay für diese Verhältnisse.

In den nächsten Monaten kam ich ganz gut zurecht. Und eines Abends im Frühling sah ich sie: Eine Pflanze. Es war eine echte Pflanze, wie ich sie aus Sagen und Märchen kannte. Sie war klein und hatte einen dicklichen Stängel und eine große, gelbe Blüte. Ein Löwenzahn. Ich konnte es kaum fassen! Die letzte Pflanze wurde vor Jahren gesehen. Es war eine Brennnessel. Eine warme Welle der Hoffnung durchströmte mich. Ich lief zu meinem Schuppen, den ich mir aus alten Autoteilen gebaut hatte. Autos wurden nicht mehr benutzt, außer, um den Reichtum zu präsentieren, da es kein Benzin zu kaufen gab. Früher waren E-Autos mal in, aber das änderte sich rasch, als irgendwer auf die Idee kam, in die Autos Peilsender einzubauen, um die Werbung zu verbessern. Und seitdem wollte sie niemand mehr kaufen.
Ich suchte in meinem alten Schrank nach einem Blumentopf. Ich wusste, dass hier irgendwo einer sein musste. Nachdem ich ihn gefunden hatte, ging ich wieder zu dem Löwenzahn und steckte ihn in den Topf. Ich erinnerte mich vage, dass man Pflanzen gießen musste. Also suchte ich auf einer der großen Plastikplanen, die ich immer aufspannte, nach Wasser und fand sogar welches. Ich stellte den Löwenzahn schön ihn die Sonne, damit er gut wachsen konnte. Ich hatte das erste Mal seit langem das Gefühl, alles würde gut werden.

Auf einmal wurde alles dunkel und im nächsten Augenblick schienen meine Augen vor Helligkeit zu verbrennen. Die Erde, und mit ihr der Löwenzahn, explodierte. In der Sahara hatte es tatsächlich jemand geschafft, die letzten Erdölvorräte mit einer Zigarette anzuzünden. An sich hätte das ja nicht direkt die Erde zerstört, wären da nicht die amerikanischen Riesenatombomben gewesen. Die Amerikaner hatten anscheinend riesige Lager voller Atombomben unter der Erde gehabt. Da hat sich also die Menschheit mit ihrer eigenen Dummheit und dem Verlangen nach Luxus und Zigaretten selbst umgebracht.

Aus den Brocken entstand ein neuer Planet – wie schon vor Milliarden Jahren die Erde entstanden war…

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Autorin / Autor: Carlotta Knümann, 13 Jahre