Outgrow – Herauswachsen

Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Stefan Lautenschläger, 19 Jahre

Fragt man mich, warum ich denn jetzt eigentlich Umweltaktivist geworden bin, kommt mir zuallererst mein Trip ins Gedächtnis. Damit meine ich jetzt natürlich meine Wanderung durch die Natur und mein eigenes Seelenleben, aber auch was Drogentrips angeht – woran wohl die meisten von euch gerade eben zuerst gedacht haben - kann ich die ein oder andere Erfahrung vorweisen, war ich doch vor nicht allzu langer Zeit selbst noch der Sucht verfallen.
Ob es an der katastrophalen Scheidung meiner Eltern gelegen hat, dass ich in den Bann der Spritze geriet? Tragen eventuell meine vielen falschen Kumpels eine ordentliche Mitschuld daran, dass ich auf den verlockenden Flirt mit der Nadel einging? Ich weiß noch immer nicht, was jetzt der eigentliche Auslöser dafür war. Was ich euch aber sagen kann, ist, dass mein bester Freund ebenfalls auf diese verführerische Bahn geriet und sein Tanz mit der Sucht ein tödliches Ende hatte. Als ich später sein Grab besuchte und dabei vollkommen allein auf dem Friedhof war, erinnerte ich mich auf einmal an einen Platz meiner Jugend, genauer gesagt an eine ganz bestimmte Lichtung des Waldes meines Heimatdorfes. Dieses friedvolle Fleckchen Erde mitten in der Natur hat mir damals immer Zuflucht gespendet, wenn ich mich nach einer solchen gesehnt habe, hat mir einen Ort gegeben, an dem ich mich von all den Strapazen des Alltags erholen und heilen konnte. Wie sehr ich es doch geliebt habe, dorthin zu gehen und mich einfach mal etwas von der chaotischen Welt abzukapseln, mich vom Hier und Jetzt auszustöpseln.

Und plötzlich wurde mir klar, dass ich erneut einen solchen Ort brauchte, um meine an die Sucht verlorene Energie wiederzuerhalten. Denn mir war bewusst, dass es so nicht mehr lange weitergehen konnte. Aber da nun das Rauschgift meine Welt war, benötigte ich mehr als eine kleine Lichtung, um mich von ihm losreißen zu können - weshalb ich mich dazu entschied, in die unberührte Natur aufzubrechen und dort auch eine Weile zu bleiben.

Ich will nicht unerwähnt lassen, dass es alles andere als ein Kinderspiel war und ich eigentlich ununterbrochen den verheißungsvollen Wunsch im Kopf hatte, diesen kalten Entzug abzublasen und mein selbstzerstörerisches Treiben wieder aufzunehmen. Aber das tat ich nicht. Ich biss die Zähne zusammen und hielt durch, konzentrierte mich lieber auf das, was um mich lag, als auf die Dinge, die unentwegt in meinem Kopf umherspukten wie ruhelose Geister der Vergangenheit. Dabei eröffnete sich mir eine ganz neue Seite der Wildnis, eine komplett andere Dimension unserer Welt und ich erkannte, wie vielseitig und atemberaubend, wundervoll und kostbar unsere Natur doch ist. Nicht dass ich das nicht schon vorher gewusst hätte, aber so, wie ich es jetzt wahrnahm, war es an Intensität und Einprägsamkeit einfach nicht zu toppen. Alles pulsierte in ihr vor unbändigem Leben, war wild und frei und einfach kerngesund. Ich glaube, dass ihr das selbst erst wirklich versteht, wenn ihr längere Zeit in der Wildnis verbracht habt. Schließlich schaffte ich durch ihre Hilfe auch etwas, von dem ich zeitweise angenommen hatte, es wäre gar nicht mehr möglich: Sie machte mich wieder gesund. Die Natur nahm mir den Wunsch nach all dem gefährlichen Stoff, der schon so oft durch meine Venen gerauscht war und dabei fast schon ein Teil meines Blutes geworden ist, und ließ mich aus der verdammten Sucht herauswachsen.

Doch bei meiner Wanderung wurde ich ebenfalls mit Dingen konfrontiert, die mir noch immer keine Ruhe lassen. Ich sah mit eigenen Augen die verheerenden Auswirkungen des Menschen, der die Natur nicht achtet und diese viel lieber ausbeutet. Nicht selten stieß ich auf kahlgeholzte oder völlig vermüllte Gebiete und getötete Tiere, was mich immer noch sauer aufstoßen lässt. Dabei ist Mutter Natur es doch, die uns unser Leben, unseren Lebensraum und alles, was wir zum Leben benötigen wie Wasser und Nahrung, Luft und Rohstoffe, gibt - und das, ohne selbst etwas dafür zu verlangen. Und wir danken es ihr damit, dass wir sie vermüllen und verbrennen, sie bis zum Gehtnichtmehr abholzen und andere Rassen selbstvergessen vom Angesicht der Erde tilgen. Wer gibt uns bitte das Recht, solche Entscheidungen zu fällen und so zu handeln? Wenn man so will, dann kann man uns als die sehen, die der Erde die Spritze in den Arm gejagt und damit den ersten Schritt getan haben, der unweigerlich zu ihrer und somit auch zu unserer Vernichtung führen kann. Und ich soll mich jetzt einfach in Stillschweigen üben und das geschehen lassen? Tut mir leid, aber da habt ihr eure Rechnung mit dem falschen gemacht. Da nehme ich es auch liebend gern in Kauf, Baumkuschler, Hippie oder Öko-Schwuchtel genannt zu werden.

An manchen Tagen besuche ich die Lichtung meiner Jugend, den Ort der Heilung meines früheren Ichs. Durch sie habe ich den abgelegensten Landstrich meines Geistes wiederentdecken und letztlich den rettenden Absprung schaffen können. Ich denke, dass wir Menschen im Allgemeinen dazu in der Lage sind. Dass wir es schaffen können, die Umwelt nicht weiter zu vernichten und mit ihr in Harmonie zu leben. Ich weiß ja aus bester Quelle, dass es ein schwieriger Weg ist, aus einem selbstzerstörerischen Verhaltensmuster herauszuwachsen, aber ein solches Vorhaben ist es allemal wert, beschritten zu werden.

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