Agnus Dei

Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von SoLostInBooks, 14 Jahre

Auf einer sonnenbeschienen Lichtung ruhten das Reh und ihre frischgeborenen Rehkitze. Eines der kleinen tollte vergnügt auf der kleinen Wiese herum, das andere versuchte immer noch sich aufzurichten. Seine Mutter betrachtete es besorgt. Es war kleiner und viel zu schwächlich. Das Reh stupste es immer wieder an und versuchte es aufzurichten. Gleichzeitig musste das Reh auch ihr anderes Kitz im Auge behalten. Die Mutter richtete sich auf und reckte witternd ihre feine Nase in die Luft, auf der Suche nach bedrohlichen Gerüchen. Die heiße Luft stand still und sie konnte nichts riechen, bis auf die Hitze. Schon seit mehreren Wochen hatte dieser Wald keinen Regen mehr erfahren. Ihre Ohren zuckten träge umher und sie verlor sich in einem Tagtraum an den Regen. Sobald beide ihrer Kitze laufen konnten, würde die kleine Familie in Richtung des Sees wandern. Vage erinnerte sich das Reh an tiefblaues Wasser, saftiges Gras… Plötzlich stieg dem Reh ein fremder, unerfreulicher Geruch in die Nase und entfernt hörte es auch knisternde Geräusche. Feuer. Ein Waldbrand. Und zwar viel zu nah. Diese Erkenntnis riss sie aus ihrer Trance. Sofort suchte sie ihr herumhüpfendes Kind und rief es zu sich. Das Kitz zu ihren Hufen fiepte verwirrt und fragend. Behutsam aber bestimmt versuchte sie ein letztes Mal das schwächelnde Rehkitz auf die Beine zu stellen. Jetzt stand es, aber seine Beine zitterten und es lehnte sich schwer an seine Mutter. Das andere Rehkitz hüpfte umher, spürte aber die sich nähernde Gefahr. Das stetige Knistern wurde lauter und lauter und die Luft flirrte immer mehr. Schon begannen die Augen des Rehs zu tränen. Der Fluchtinstinkt war mittlerweile übermächtig, aber wegen ihrem Kleinen, der immer noch nicht allein stehen konnte zwang sie sich, nur langsam zurück zu weichen und das Kitz so zu zwingen allein zu stehen. Schon konnte das Reh aus dem Augenwinkel die leckenden Feuerzungen sehen. Das Tosen des Feuers drückte auf ihre Ohren. Das kräftigere Rehkitz tänzelte bereits nervös am Rande der Lichtung, würde jedoch nicht ohne seine Mutter gehen. Das Reh warf einen letzten Blick auf ihr schwaches Kitz zurück. Ohne die Unterstützung seiner Mutter war es wieder unsanft zu Boden gefallen. Die Flammen loderten jetzt schon hoch auf der Lichtung, ihr Tosen übertönte jeden verzweifelten Todesschrei anderer Tiere. Obwohl ihr Herz drohte zu zerspringen, wandte sie sich von ihrem schwachen Kind ab. Dessen Augen weiteten sich entsetzt und sofort rief es verängstigt nach seiner Mutter. Es verstand, dass sein Leben davon abhing jetzt aufzustehen und der Mutter vom Feuer weg zu folgen. Es verstand allerdings auch, dass sein Körper dazu nicht imstande sein würde, dass es keine Rettung für das Kitz gab. Trotzdem versuchte es mit zitternden Gliedern aufzustehen. Mit jedem gescheiterten Versuch schrie es lauter nach seiner Mutter. Das Reh hatte tränende Augen, stob aber dennoch zu seinem verbliebenen Kitz. Das tosende Feuer war bedrohlich nah, aber das Reh würde die Töne der Verzweiflung ihres Kindes nie vergessen. Hastig stupste sie ihr Kitz am Rande der Lichtung an, warf keinen Blick zurück zu ihrem sterbenden Kitz, das gerade von den Flammen verschlungen wurde und starb. In Todesangst hetzten sie ins Dickicht. Äste schlugen ihnen entgegen, umgestürzte Bäume versperrten ihnen den Weg, oft mussten sie Umwege nehmen. Vereinzelt sahen sie andere fliehende Tiere, aber das Reh und ihr Kitz nahmen sie nur verschwommen war. Weiter, immer weiter. Weg von den Flammen, weg vom sicheren Tod. Sie rasten durch den Wald, auf der Suche nach einem Ausweg. Das Feuer knisterte und toste, zerstörte in seiner Wut den gesamten Wald. Ständig gingen neue Büsche und Bäume in Flammen auf. Das Reh führte ihr Kitz gerade unter einem überhängenden Baum hindurch,  da gab es ein ohrenbetäubendes Krachen und Knacken. Erschrocken drehte es sich um. Es bot sich ihm ein Schreckensbild: Ein Ast ebendieses Baumes war wegen den Flammen zu Boden gestürzt und hatte das Rehkitz unter sich begraben. Das Reh fiepte auf und stürzte auf ihr Kitz zu. Nur sein kleiner Kopf mit den geweiteten und tränenden Augen schaute unter dem gewaltigen Ast hervor. Ein letztes Mal schrie es voller Schmerz auf. Das Reh sank zu ihm herunter, aber ihr Kitz war bereits tot. Unter dem Ast quoll langsam aber stetig Blut hervor. Voll Ekel und Herzschmerz sprang das Reh, keine Mutter mehr, auf. Es tänzelte auf der Stelle, noch nicht bereit sich von dem Anblick zu lösen. Der Ast hatte dem Rehkitz Brustkorb und beinahe alle anderen Knochen gebrochen. Ein schmerzvoller, aber schneller Tod. Ein Schrei stieg aus der Kehle des Rehs auf. Die Flammen näherten sich wieder und der Fluchtinstinkt überdeckte ihre Mutterinstinkte. Es zerriss das Reh innerlich, aber trotz des Verlusts ihres zweiten Kitzes wandte das Reh sich ab und hetzte weiter. So schnell hatte es alles verloren und sein eigenes Leben war immer noch in Gefahr. Was das Reh allerdings nicht wusste, war, dass der ganze Wald umzäunt war und es kein Entrinnen gab.
Am nächsten Tag in den Schlagzeilen: Waldbrand verursacht von liegen gelassener Glasflasche!

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Autorin / Autor: SoLostInBooks, 14 Jahre