HONIG – SCHERE – TASCHE

Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Alexandra Ratzinger, 22 Jahre

Früher hielt ich immer an dem Gedanken fest, Honig wäre die Fäkalie von Bienen. „Wieso essen denn das so viele Menschen? Es sieht nicht gerade sehr appetitlich aus oder gar, dass einem vom Anblick alleine das Wasser im Mund zusammen laufen würde!“ Nein! Ich werde bestimmt nie die Fäkalien von Bienen essen! Dachte ich.
Eines Tages, im Leben eines jeden Menschen, davon bin ich felsenfest überzeugt, kommt der Moment, an dem man im Honig nicht mehr die Fäkalien von Bienen sieht, sondern dieses kleine Wunder, geschaffen von hunderttausenden kleinen Arbeitern. Der Moment, in dem man die Schere zur Hand nimmt und seinen eigenen Knoten, seinen starren Blick auf die Welt, durchtrennt. Das Fernrohr beiseitelegt und die Welt plötzlich im unglaublichen Jetzt und die Dinge ganz nahe sieht, aus einem völlig neuen, anderen Blickwinkel.
Was das allerdings braucht, ist eine große Tasche vollgepackt mit Mut und Neugier. Vollgepackt mit dem Einverständnis eines selbst, Neues zuzulassen und anzunehmen, neue Blickwinkel zu akzeptieren. Die Angst davor, alt eingesessenes, immer Gleiches, zu verändern, den Alltag zu durchbrechen und zu überwinden, einfach einmal loszulassen.

Hat man das geschafft, hat man gleichzeitig den ersten Schritt in eine neue und grünere Zukunft gemacht. In eine Zukunft, in der man den Honig nicht als Selbstverständlichkeit in unseren Supermärkten zu kaufen sieht. In eine Zukunft, in der man sich bei einem Bienenstich nicht nur über den Schmerz ärgert, sondern gleichzeitig auch freut, dass es ihn noch gibt. In eine Zukunft, in der man Bienen gerne von den Leckereien am Esstisch knabbern lässt und sie nicht verjagt oder gar erschlägt. In eine Zukunft,  in der unsere Obstbäume noch Äpfel, Birnen und Kirschen tragen. In eine Zukunft, in der unsere Kinder dieses wunderbare Phänomen des Honigs nicht aus Büchern vorgelesen bekommen, sondern es live in unserer Natur bestaunen können.

Nun liegt es an jedem einzelnen von uns, die Erde gesund zu pflegen. Fangen wir an, im Honig nicht die Fäkalien von Bienen, sondern ein unglaublich gut schmeckendes, kleines Wunder unserer Welt zu sehen. Starten wir, Dinge und Prozesse zu hinterfragen und zu verbessern und stoppen wir, das ständige Bejahen und Schönreden.
Hören wir auf zu phantasieren und fangen wir an zu leben.

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