Das Paradies auf Erden

Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Martin Texa, 20 Jahre

Sein Herz schlug höher, als er durch das kleine Fenster rechts neben seinem Bein auf die Erde sah. Das leise Summen des Octocopters, in dem er saß, erfüllte Fridolin mit Stolz. Sein ganzes Leben hatte er neben den großen Turbinen des Stausees verbracht. Nicht, dass ihn der niemals endende Lärm des herabstürzenden Wassers gestört hätte. Nein, er hatte ihn nicht einmal wahrgenommen. Doch nun, da er sich weit entfernt von dem immerwährenden Donnern entfernt hatte und fast lautlos über den Himmel flog, fühlte sich die Stille erhaben an. Nur er allein in der ganzen Stadt am Staudamm hatte nach Höherem gestrebt. Alle, die ihn kannten, hatten ihn für Verrückt erklärt: „Fridolin, tu, was dir gesagt wird, und überlass das Denken den Oberen“. Mit solchen Sätzen und Schlimmerem war er täglich getadelt worden. Doch dann hatte er die Funktionsweise der großen Turbinen verstanden und sie verbessert. „Ein Durchbruch in der grünen Energiegewinnung“, hatten sie ihn in der Videobotschaft gelobt, „Das Ministerium für Energie und Umwelt dankt Ihnen.“ Einen Tag später war dann die Einladung eingetroffen. Es war unfassbar, er stieg auf.
Dann, heute Morgen, war der schwarze Octocopter gelandet. Zuerst flogen sie nördlich, bis sie die Alpen und somit das „Land des Wassers und Windes“, wie es insgeheim genannt wurde, überwunden hatten. Seitdem flogen sie über das Schachbrett der modernen Welt. Auch wenn Fridolin es in den Geschichten seiner Großmutter gehört hatte, so hatte er doch niemals geglaubt, was er nun mit eigenen Augen sah: Das Land war exakt in riesige quadratische Flächen eingeteilt. Wie ein Schachbrett wechselten sich nun Wald und Zivilisation ab. Die meisten Quadrate waren bedeckt von den großen Photovoltaik- und Solarfarmen, doch hin und wieder erschienen auch Quadranten mit großen, autonomen Fabriken.
„Wir nähern uns dem Ziel“, erklärte auf einmal eine freundliche, weibliche Stimme aus den Lautsprechern, „bitte halten Sie Ihre Berechtigungsdokumente, sowie die Schlüssel bereit.“
Fridolin holte schnell sein kleines Tablet unter dem Sitz hervor.

Siedlung: Glubiner Hof 1; Straße: Frankfurter Weg; Hausnummer: 53, erschien auf dem Bildschirm. Der Octocopter, setzte zur Landung an. Neugierig beugte sich Fridolin nach vorne und betrachtete die kleine Landestelle inmitten des blau schimmernden Meeres aus Platten. Dann setzte das Fluggerät auf und die Tür öffnete sich. Fridolin spürte das Adrenalin durch seinen Körper jagen, als er seinen Fuß auf den harten Betonboden setzte. Das Tablet vibrierte in seiner Hand.
„Bitte gehen Sie vier Reihen in die angezeigte Richtung“, erklang die Frauenstimme diesmal aus seinem Tablet, „Dann biegen Sie links ab und gehen zur 17. Zelle weiter.“
Fridolin folgte der Anweisung.
„Sie haben ihr Ziel erreicht“, rief sein Tablet sichtlich erfreut. Fridolin sah auf, betrachtete die schräg aufgestellte Parzelle, vor der er stand und wollte vor Freude aufjubeln. Er hatte eine der wenigen Solarplatten erwischt, die laut der Erzählung seiner Großmutter nur die hohen Herren bewohnten, während das einfache Volk die Photovoltaikplatten erhielten.

Und nun? Fridolin zog seine Stirn kraus und schaute sich um. Verzweifelt blickte er hinunter auf sein Tablet.
Ach ja, die Papiere, fiel es ihm wieder ein. Er schloss die Navigationsapp und suchte nach seinen persönlichen Dateien. Eine Meldung tauchte auf dem Bildschirm auf: Sie haben sich erfolgreich ausgewiesen, ihre Wohnung kann nun geöffnet werden.
Genüsslich tippte Fridolin auf das kleine Icon mit dem Schlüsselbund und gab sein Passwort ein. Ein leises Klicken erklang. Dann klappte ein Teil der Solarplatte langsam auf. Strahlend trat Fridolin in sein neues Zuhause ein. Eine schmale Treppe führte ihn 7 Stufen hinunter. Hinter ihm schwang die Tür wieder zu und warmes, indirektes Licht erleuchtete den Raum.

„Willkommen in Ihrer Wohnung“, sprach die Frauenstimme aus seinem Tablet, „Ich werde sie nun einweisen.“
Fridolin wartete. Der erste Befehl lautete, sich hinzulegen. Er gehorchte, ging zu dem großen Bett hinüber und ließ sich in die weiche Matratze fallen.
„Nun ziehen Sie zu Ihrer Linken den Schlauch etwas weiter aus der Wand und kleben das flache Pad am oberen Ende dieses Infusionsschlauchs auf die Oberseite ihrer linken Hand“, erklärte die Stimme weiter. Fridolin tat, wie geheißen. Ein feiner Schmerz durchzuckte ihn, als das runde Ende des Schlauches sich an seiner Haut festsog.
„Nehmen Sie nun das kleine, sternförmige Gerät von der Ablage über ihrem Kopf und halten Sie es sich so an die rechte Schläfe, dass der lange Ast hinter ihr Ohr reicht.“

Ungeschickt versuchte Fridolin, der Anweisung Folge zu leisten, doch erst nach mehreren gescheiterten Versuchen gelang es ihm, das flache Metallstück in die richtige Position zu befördern. Kaum dort angekommen, saugte sich auch dieses Gerät an ihm fest. Auf einmal verschwamm sein Blickfeld und er spürte seinen Körper nicht mehr. Dann klarte es wieder auf und er befand sich schwebend in einem weißen Raum wieder. Eine schöne Frau nahm vor ihm Gestalt an: „Willkommen in der IVWOS, der International Virtual World Of Science“, sprach die Frau in der Stimme, die Fridolin bereits aus seinem Tablet kannte, „Seit dem Kollaps der Welt vor fast einem Jahrhundert sorgt das Ministerium für Energie und Umwelt für die großen Fortschritte, die wir im Kampf gegen die Armut und die Vernichtung der Natürlichkeit der Erde erreicht haben. Nur durch uns ist die Erde einer Apokalypse entgangen und alle Menschen haben die gleichen Chancen, uns ihren Fähigkeiten nach bei der Erreichung dieser Ziele zu helfen. Das Ministerium übernimmt für Sie die Kosten für das vierjährige Studium der Umweltingenieurstechnik. Stimmen Sie zu, sich den Zielen des Ministeriums anzuschließen, akzeptieren damit die vertraglichen Bestimmungen, die Sie durch Fragen jeder Zeit einsehen können, und nehmen damit Ihr Stipendium an?“
Fridolin strahlte: „Ja, ich stimme zu.“

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