Rosa

Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Noemi Rey, 18 Jahre

Nichts half und nichts würde jemals helfen. Da war sie sich sicher. Weder die Wasserentsalzer, mit denen Meerwasser trinkbar wurde, noch die Pilze, wie jeder die Schirme nannte, die hoch am Himmel schwebten und die UV-Strahlung daran hinderten, die Menschen noch kränker zu machen. Nicht einmal die neue Ozonschicht. In diese hatte sie noch am meisten Hoffnung gesetzt. War ja an sich auch egal. Was versuchte man denn noch zu schützen? Etwa die virtuellen Eisbären, die projiziert wurden, um den Menschen die Schuldgefühle zu nehmen? Bald wäre es vorbei. Bis dahin konnte sie nochmal richtig leben, dachte sie sich. Alles hinter sich und es in Gleichgültigkeit ertrinken lassen. Ihr konnte es egal sein. Diese elenden Beschränkungen. Ihr ganzes Leben lang. Nie hatte sie Eis essen können, nur davon gehört und geträumt. Es musste himmlisch sein, sich etwas Kaltes im Mund zergehen zu lassen. Unvorstellbar. Export gab es als sie noch sehr klein war. Damals aß sie ihre letzte Banane, ohne es überhaupt zu wissen. Ohne es richtig zu genießen. Verschlungen hatte sie sie, wie ein schwarzes Loch eine Galaxie.

Verschanzt in der Wohnung. Eingeengt zwischen Industrie und Atomkraft. Man konnte die Gifte schon in den Gardinen riechen. All’ das Waschen hatte wohl nichts geholfen. Mühselig erhob sie sich aus ihrem Sessel. Alles tat weh. Langsam ging sie zu ihrem Wassererhitzer. Als sie auf den halb abgefallenen Knopf drückte, ergoss sich das Wasser nach zwei Sekunden in die Tasse. Wie ein kleiner Vulkan zischte das Gerät. Den Inhalt goss sie nun in eine Schale und gab etwas rosa Pulver dazu. „Vielleicht schmeckt es mir heute besser“, hoffte sie und löffelte die Brühe in sich hinein. Alle Hoffnung war umsonst.

An dem Fenster flog ein Postbote mit seinem Magnetrucksack vorbei. Unten auf der Straße sah man die grauen Schienen, die ihm halfen, sich in der Luft zu halten. Sie betete stets, dass ihn die Ladungen nicht im Stich ließen und sich negativ und negativ doch noch anzögen. Alles konnte passieren. Aber heute nicht. Heute flog er weiter, doch ohne einen Brief in ihren Briefleser vor der Tür zu legen. Heute wurde ihre Wand nicht von Buchstaben beleuchtet. Heute wurde der Raum nicht von der knarrenden Stimme der Lesehilfe erfüllt. Bereute sie es? Sie war alleine. Niemand, der ihr von den neuesten Ereignissen erzählte. Niemand um den sie sich kümmern könnte. Wenigstens musste niemand mitansehen, wie sie ächzend in ihr Bett stieg oder wieder aufstand.

Das Zimmer wurde von Neonlicht erhellt. Sanft flackerte die Leuchte an dem verlassenen Geschäft gegenüber. Alles schien so ruhig, doch sie wusste, dass bald jeder aus seinem Haus kommen und um sein Geld bangen würde. Sie jedoch würde zuschauen.
Langsam glitt ihr Blick zum Himmel und durch die Pilze hindurch. Noch sah man den Mond, der langsam von der Sonne abgelöst wurde. Hell rosa leuchtete der Himmel und mit einem Mal verwandelte er seine Farbe in ein blasses Orange. „Eigentlich bin ich ein fröhlicher Mensch. Eigentlich ist das Leben schön. Vielleicht hätte es sich gelohnt zu kämpfen“, dachte sie still und schaute in den Himmel, bis er anfing grau zu werden.

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