Über die Hausfrauen und Faulpelze von morgen oder Manche Dinge ändern sich wohl nie

Beitrag von Jan-Niclas Schindzielorz, 18 Jahre

„Hey Meghan, ich bin gleich da. Warte kurz.“
Lautlos glitt die Tür zur Seite. Kim nahm den Finger vom Sensor und hastete mit schnellen Schritten und zwei Bechern Kaffee in der anderen Hand hindurch.
„Nein, Meghan, ich wurde von keinem mysteriösen Mann aufgehalten. Ich habe schlicht und einfach verschlafen. – Whoa, ist ja gut. Bevor du in meinem Liebesleben rumstocherst, such dir lieber mal wieder selbst was zum Naschen. Nicht, dass du aus Verzweiflung noch mich anfällst. – Jetzt rede dich nicht raus, du weißt am besten, wo die Grenzen einer verzweifelten Frau liegen. Kannst du bitte schon mal mein System starten? Sonst verschläft Steve auch noch und dann kriege ich den Stress ab. – Danke, Süße, du bist ein Engel. Bin gleich oben.“ Mit einem Klopfen auf die Stelle hinter ihrem rechten Ohrläppchen, wo der iStick eingesetzt worden war, beendete sie das Gespräch.“
Kurz darauf fiel sie in ihren Stuhl.
„Das waren schon wieder 73 Sekunden zu viel im Bad, meine Liebe.“
„Sorry, dafür habe ich einen Kaffee für dich.“ Sie rollte mit dem Stuhl rüber zu ihrer liebsten Arbeitskollegin. „Mit Sojamilch.“ Ihre eine hochgezogene Augenbraue begab sich wieder in Normalstellung.
„Du hast auch gute Seiten.“
„Das freut mich zu hören.“
„So, jetzt fang endlich an, sonst verpasst Steve seine Schicht.“ Als Antwort verdrehte Kim nur die Augen. Elegant rollte sie sich wieder in ihre Nische zurück.
Die graue Wand vor ihr erstrahlte, das System war bereit zu starten. Schnell kramte sie ihre Brille aus der Tasche. Als sie sie aufgesetzt hatte, verwandelte die nun grellweiße Oberfläche sich in einen großflächigen Bildschirm. Wie jeden Morgen begrüßte sie in verschnörkelter Schrift der Satz „Willkommen bei Smart Home Assistance International - New Home, New You. Bitte loggen Sie sich ein.“ Ein Sensor blinkte und bat um ihren rechten Daumen. Das Menü mit den Daten ihres ersten Kunden öffnete sich.
Durch bloße Augenbewegungen öffnete und überflog sie Steves Werte, bevor sie auf gleiche Weise zur Hausansicht umschaltete. In einem kleinen Fenster behielt sie den Supermarkt, Steves Arbeitsplatz, im Auge. Dieser schlief noch seelenruhig in dem viel zu großen Bett in seinem viel zu großen Haus.
Verwöhnter Sohn reicher Eltern halt, dachte Kim.
Schnell schaute sie auf die Uhr. Wenige Sekunden noch. Eilig suchte sie seinen Lieblingssong in der Mediathek und ließ ihn über seinen iStick abspielen.

Die Musik holte Steve aus den Tiefen des Schlafes. Sobald er die Augen aufschlug, wurde sie leiser, bis sie verstummte.
„Guten Morgen, Kim. – Sehr gut sogar, aber müsste das nicht in deinem schlauen Computer da stehen?“ Schnell streifte er sich eine Jogginghose und Shirt über. „Ach egal. Aber morgen darfst du gerne mal wieder einen neuen Song zum Aufwachen spielen. Ich kann schon im Schaf mitsingen, bald wirkt der nicht mehr. – Ich glaube, auch dein bester Kinnhaken könnte mich nicht wecken. – Sorry, ich weiß, Spaßbremse und so. Magst du mir ‘nen Kaffee machen? - Perfekt, danke dir.“ Von unten drang das Geräusch der sich einschaltenden Kaffeemaschine ins Schlafzimmer. „Du bist ein Engel. Zum Glück nur einer in meinem Kopf, so kann ich mir das Heiraten sparen und trotzdem hält eine Frau mein Haus in Ordnung. - Sexistisch? Ich finde, es ist die Wahrheit. - Okay, ganz ruhig, das war ein Scherz. Du weißt, wie sehr ich Frauen vergöttere und du weißt auch, wie schwer ich mich mit ihnen tue. Meine Mutter fragt schon jedes Mal, das reicht an Stress diesbezüglich.“ Er sprang die fünf Stufen aus seinem Schlafzimmer hinunter in den Flur und von dort in die Küche. Durch die Fensterwand schien die Sonne und es zeigte sich ein wolkenloser Himmel. „Ey, Kim, Wettervorhersage für heute, bitte. – Dann lass uns später joggen gehen. Was sagt die Arbeit? – Ach, der Miller soll sich mal entspannen und froh sein, dass wir seinen Job machen. Ich bin in fünf Minuten da. – Ich weiß, ich weiß. Ich darf mich nicht beklagen. Ich habe den entspanntesten Job der Welt. Warum reden wir jeden Morgen darüber?“ Steve leerte die Kaffeetasse in einem Zug. „Na gut, lass uns anfangen.“ Gemütlich schlenderte er ins Arbeitszimmer, setzte seine Brille auf und ließ sich in seinen Sessel fallen. „Ich vertraue deinem weiblichen Instinkt in Sachen Musik. – Danke dir, kann losgehen.“
Der Raum um ihn herum wurde schwarz, als seien seine Augen zugefallen. Stattdessen erschien das verschwommene Bild eines Supermarktes. Langsam schärfte sich seine Sicht und er fand sich an seinem Arbeitsplatz wieder. Vor ihm der Bildschirm, rechts der Zigarettenstand. Über ihm das leuchtende Schild „Kasse 4“.
„Gut, dass du endlich aufkreuzt.“
Er hörte Millers Stimme hinter sich und wandte den Kopf seines Arbeitskörpers.
„Rob fällt heute aus. Kannst du seine Spätschicht übernehmen?“, fuhr sein Chef fort. Steve stöhnte innerlich.
„Wenn es sein muss. Du schuldest mir etwas.“ Er hatte sich noch nicht an den technischen Klang der Stimme des Körpers gewöhnt, eine Kleinigkeit, die die Forschung noch nicht beseitigen konnte.
„Sehr gut!“ Der kleine, dickliche Mann wuselte weiter.
Das war’s dann wohl mit Sport am Abend, dachte Steve. Na gut, dann wollen wir mal.
Mit knappen, klar formulierten Gedanken steuerte er die Arme seines Arbeitskörpers und eröffnete mit Hilfe des Rechners vor sich die Kasse. Von der einzigen anderen geöffneten Kasse kamen schnell ein paar Kunden herüber.
„Einen wunderschönen guten Tag, Frau Mendler“, begrüßte er die erste.
„Den wünsche ich Ihnen auch, Steve. Wieder bis eben im Bett gewesen?“
„Dank dem hier“, er klopfte sich auf die metallene Brust, „geht das.“
„So einen hätte ich auch gerne, dann müsste ich nicht mehr selbst putzen.“
„Ach, überschätzen sie die Teile nicht. Ich darf damit ja auch nur arbeiten.“ Steve dachte sich einen Schmollmund auf das Gesicht seines Arbeitskörpers.
„Dafür sind Sie nach Feierabend nicht zu müde, sondern sitzen oder liegen bis dahin entspannt daheim.“
„Wahre Worte.“ Er ließ mit schnellen Bewegungen die Produkte über den Scanner laufen. „20,76 € macht das heute für Sie.“
Frau Mendler presste ihren rechten Daumen auf das Paypad und packte zügig die letzten Dinge in ihre Tasche. „Ihnen noch einen schönen Tag, Steve.“
„Danke, gleichfalls und vergessen Sie nicht, ihren heutigen Einkauf zu bewerten.“
Sie tippte sich hinter ihr rechtes Ohr. „Schon dabei!“
„Der Nächste bitte.“

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