Im Grab der Zukunft

Beitrag von Tessa Marie Scholl, 16 Jahre

Die blaue endlose See starrt mir bedrohlich ins nackte Gesicht, wissend, dass ich im gläsernen Käfig gefangen bin. Der gläserne Käfig, der unser Leben und unsere Zukunft repräsentiert. Die Fische umkreisen mich neckisch, wissend, dass sie schon viel länger hier leben und bis zum letzten Tag da sein werden. Ich fühle mich eingeengt in diesem riesigen gläsernen Aufzug der mich in meine berufliche Zukunft führt.
Jetzt, wo ich alles hinter mir gelassen habe, meine Eltern, meine kleine Schwester, meine Ideale und auch meine Hoffnung. Obwohl die Hoffnung wird sich bis zu meinem letzten Atemzug an mich klammern, wie ein neugeborenes Baby an seine Mutter. Sie spiegelt sich in meinen Zukunftsvisionen und Träumen. Visionen wieder auf dem Land, sprich Erdboden zu leben, ohne Experimente, ohne Wissenschaftler oder Parasiten, so, dass alle Menschen friedlich und glücklich zusammenleben können.
Nein, ich persönlich sehe Menschen nicht als Parasiten an. Aber unsere aktuelle Regierung tut dies. Und das, was unsere Regierung denkt, sollen wir alle denken, denn Individualität und humane Werte sind in unserer Gesellschaft ausgelöscht worden. Unsere neue Welt basiert auf Leistung, Gleichheit und Sicherheit, solange bis die Luftvorräte knapp werden und die Menschen vielleicht endlich anfangen zu rebellieren.
Als Parasiten bezeichnet man die Menschen, die sich gewehrt, ihre Meinung geäußert und dafür gekämpft haben, dass unserer ehemaliger Lebensraum bestehen bleibt. Sie leben minimalistisch, aber frei auf der Erde und nicht wie wir in den Tiefen des Meers. Sie sind Abschaum für unsere „manipulierte“ Gesellschaft und dürfen keinen Kontakt zu uns aufnehmen oder auch nur die Wasseroberfläche berühren.
Zu Beginn hatte man noch Hoffnung, da die Regierung endlich begann die Meere zu reinigen und ein paar umweltfreundliche Verbote auszusprechen, doch das war nur der Anfang des Untergangs unseres früheren Lebensraumes.
Die sich öffnenden Aufzugtüren reißen mich aus meinen Gedanken und katapultieren mich in die Realität zurück. Mein Kopf dröhnt immer noch von all dem neuen und einschüchternden Wissen, dass ich durch das Brain Skimming, sprich die Gehirnprägung erhalten habe. Zu diesem Zweck wurde ich 10 Minuten lang in ein Koma versetzt. Durch eine sehr aufwendige Operation unter Einsatz modernster Robotertechnik wurden Daten beladene Neurotransmitter auf meinen Schädel projiziert und in mein Gehirn integriert.
Ich sollte stolz auf mich sein. Ich bin die Erste, die für meinen zukünftigen Arbeitsplatz, als Wissenschaftlerin nicht studieren musste. Ich habe mein allumfassendes Wissen innerhalb von 10 Minuten per Operation erhalten. Ausgewählt wurde ich, da mein Schulabschlusstest die höchste je erreichte Punktzahl aufwies. Meine enorme Gehirnkapazität qualifizierte mich zur idealen Versuchsperson für das soeben neu entwickelte Verfahren des Brain Skimmings. Und so schlendere ich jetzt mit knapp 15 Jahren als jüngste Professorin des Forschungsprojektes durch die Gänge des wissenschaftlichen Labors am Meeresgrund.
Heute lerne ich die Leiter der Forschungsbasis kennen und muss mich perfekt präsentieren, um diesem „Geschenk“ der Regierung Dank zu zollen. Später wird mir die Leiterin des Instituts einen der Forschungsräume, in dem genmanipulierte Kakerlaken gezüchtet werden, zeigen. Ich bin sehr aufgeregt und freue mich, die ersten Entwicklungswerte ablesen und interpretieren zu können. Es kursieren Gerüchte, dass die Kakerlaken bis zu 6 m groß werden. Das muss natürlich auch so sein, damit man große Mengen der krebsheilenden Substanzen aus dem Gehirn der Tiere gewinnen, erforschen und perfektionieren kann. Natürlich ist es Tierquälerei, doch der Fortschritt besitzt immer positive und negative Seiten.
Ob es wirklich ein Geschenk ist, hier so isoliert zu arbeiten, weiß ich noch nicht. Jedoch weiß ich, dass ich die Chance erhalten habe, etwas zu verändern. Vielleicht gelingt mir eine Erfindung, die es den Menschen ermöglicht wieder an Land zu leben. Eine solche Chance hat man im Normallfall nicht, da jeder „rebellische Akt“ von der Regierung niedergeschlagen und „die Rebellen“ aufs Härteste bestraft werden.
Ich folge dem Gang weiter, der mit den Geräuschen der Subares erfüllt ist. Subares sind computergesteuerten Maschinen, die den nötigen Druckausgleich gewährleisten, und uns mit frischer Luft und vielen anderen überlebenswichtigen Substanzen versorgen. Diese Erfindung ermöglicht uns, der intelligentesten Spezies auf diesem Planeten, die sich in meinen Augen sehr dumm und absolut zerstörerisch verhalten hat, das Überleben.
Ich höre wie eine Tür auf geht und Schritte durch den endlosen und sterilen Flur hallen. Mein Blick gleitet suchend durch den Raum und treffen auf ihn. Einen Mann gezeichnet vom Alter und ausgelaugt vom Leben flüchtet panisch durch den Gang. Er ist sicher nicht der Leiter der Forschungsbasis. Er hat mich fast erreicht, als ein Security - Roboter eingreift und ihn brutal gefangen nimmt. Der Schmerz verzerrt sein Gesicht zu einer beängstigenden Fratze. Sein Blick fällt auf mich. Seine Augen zeigen Angst und die Vorahnung verloren zu sein. Er beginnt aus voller Leibeskraft zu schreien und ich bemerke, dass sich seine Stimme unglaublich jung anhört „Lauf! Flüchte! Arbeite hier nicht. Sie saugen deine Ideen aus dir heraus solange bis nichts mehr da ist. Gehe fort, was auch immer Deine Aufgabe hier sein sollte. Lass es hinter dir und fliehe!“
Mir gefriert das Blut in den Adern. Plötzlich ertönt eine einfühlsame Frauenstimme. „Hören sie auf unsere neue Mitarbeiterin mit ihren verrückten Gedanken zu belästigen. Ihre Zeit hier ist abgelaufen. Sie sind entlassen. Ich begleite sie zum Aufzug.“ „Frau Professorin“, damit wendet sie sich an mich, „Warten sie bitte kurz hier. Ich bin für heute ihre persönliche Assistentin und geleite sie in wenigen Minuten an ihren Arbeitsplatz und zu ihren zukünftigen Kollegen.“ Der magere Mann schreit ängstlich „Nein. Stopp! Hören sie auf. Ich weiß, dass sie mich an Land zurückbringen. Dabei habe ich selbst durch meine Forschung festgestellt, dass man dort nicht mehr leben kann. Warum tun sie mir das an?“ „Dies ist meine letzte Warnung. Schweigen sie endlich!“ „Nein. Ich habe hier unten aufgehört ein Mensch zu sein. Habe immer nur für Sie gearbeitet und die geforderten Höchstleistungen erbracht. Ohne ein Gefühlsleben, Träume oder private Gedanken. Wenn Du hierbleibst“, er zeigt auf mich, „wirst du unweigerlich genauso wie ich zu einem Roboter. Wertlos und ersetzbar.“ Der Security - Roboter versetzt dem Mann unbemerkt einen Elektroschock. Eine Luke öffnet sich kaum wahrnehmbar neben uns in der Glaswand. Der Roboter legt den regungslosen Körper in die Öffnung, die sich als Schleuse erweist und betätigt durch einen Knopf deren Schließung. „Bitte entschuldigen sie diesen kleinen Zwischenfall. Sie müssen keine Angst mehr haben. Das Problem wurde bewältigt. Und nun folgen sie mir bitte!“  erläutert mir meine persönliche Assistentin und schiebt mich den Gang entlang. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie eine leblose männliche Gestalt an uns vorbei in das unendliche blau der See schwebt, die sie und irgendwann vielleicht auch mich in die dunkele Tiefe ziehen wird.

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Autorin / Autor: Tessa Marie Scholl, 16 Jahre