Nein?! Dann viel Glück

Beitrag von Gesine, 19 Jahre

Biep, Biep, Biep. Sein Kopf explodierte förmlich beim Augenaufschlagen, als würde ein Presslufthammer in seinem Kopf betrieben. Die Spritzen klackten leise aneinander, als er beim überhasteten Aufsetzen gegen ihre kleine Porzellanschale stieß. Schnell riss er eine von ihnen aus ihrer Verpackung heraus und setzte sie ohne zu blinzeln am Bauch an. Anfangs hatte er sich geekelt und manchmal solange gebraucht, dass er beinahe vor Schmerz in Ohnmacht gefallen wäre. Aber jetzt sehnte er sich unbändig nach dem sanften Stich der Nadel, der ihn von seiner täglichen Migräne erlösen würde. Denn eins hatte er über die Jahre gelernt: Für sie wollte er funktionieren.

Freundlich lächelnd trat er aus seinem Zimmer hinaus. Sogleich wurde ihm fürsorglich der gelbe Regenmantel umgelegt und einmal ganz sanft durchs schulterlange Haar gewuschelt. Während Vertrouwen ihm sein Sandwich reichte und ihm mit vor Begeisterung leuchtenden Augen die neuesten Ereignisse von draußen zuraunte. Ein Kind war in Sektor 6 geboren worden, 450 Äpfel geerntet und die Sprinkler für die Pflaumenbäume repariert. Mit einem leichten Nicken und einem munteren Blick in die Runde verabschiedete er sich von ihnen. Unzählige Tropfen aus der Sprinkleranlage prasselten gleichmäßig auf seinen Regenmantel, als er die Plantage voller Obstbäume durchquerte. Hin und wieder klopfte er dem einen oder anderen Arbeiter, die genau wie er in einen gelben Regenmantel gehüllt waren, aufmunternd auf die Schulter. Schnell half er einem die schwere Karre mit Setzlingen zum neuen Bett zu transportieren und gab ihm ein paar Tipps zum Einsetzen. Sie alle liebten ihn und er liebte sie ebenso sehr. Ein Vibrieren an seinem Handgelenk riss ihn aus seiner Entzückung. Es war Jade, der Präsident der Vereinigten Westlichen Staaten. Er solle so schnell wie möglich in die Zentrale kommen.

Erst hörte man nur ein Knistern. Aber gleich darauf erschien Jade auf dem großen Bildschirm direkt vor ihm. Dann schallte seine Stimme metallisch durch den Raum: „Schön, dass Sie die Zeit gefunden haben, Commander. Wir ersuchen Sie uns unverzüglich die neuesten Forschungsergebnisse zu Projekt New-Seeds mitzuteilen.“ Schon bei der Erwähnung des Projektes stellten sich bei ihm alle Nackenhaare auf. New-Seeds hatte das Potenzial alles, wirklich alles auf der Fähre von Projekt Mars_X zu verändern. Panisch irrte sein Blick zwischen Monitoren, klinisch geprüften Tischen und einem Tank hin und her. In dem Tank schwammen bisher nur ein paar Blasen träge durch Gelee. Wie magisch wurde sein Blick von einem großen Metallfass links vom Tank angezogen. Dampfschwaden stiegen aus ihm hervor. Er hätte die dort lagernde Generation der New-Seeds schon längst vernichten sollen. Jade hatte ihm zwar mehrfach versichert, dass sie ungefährlich seien, aber wie konnte er jemandem vertrauen, der tausende Kilometer von ihm entfernt nichts zu befürchten hatte.  Mit Schrecken dachte er an die Zeit zurück, als Vertrouwen ihm morgens nicht zuraunen konnte, dass ein Kind in Sektor 6 geboren worden war und von ihm besucht werden solle. Sondern als er immer wieder von Totgeburten oder Kindern mit deformierten Körpern hören musste. Statt wie erhofft Leben durch Nahrung zu schenken, war es genommen worden. Er riss die Augen von dem Fass los und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass sein Puls ins Unermessliche gestiegen war. Wie sollte er Jade dazu bewegen noch einmal zu warten, bis er eine Lösung gefunden hatte, ihm irgendwie anders Ergebnisse zukommen zu lassen. „Sie wollen mich doch nicht wieder vertrösten, Commander. Das wäre zu schade, nicht nur für Sie sondern für Ihre gesamte kleine Welt.“, ein geradezu maskenhaftes Grinsen erschien auf Jades Gesicht, „Wir alle wissen doch, dass auch Sie nicht unantastbar sind. Meinetwegen können Sie mir entgegnen, dass Sie bei Ihrer Auswahl vor der Entsendung in Richtung Mars der intelligenteste und gleichzeitig loyalste Mensch auf Erden waren. Aber wissen Sie was? Jeder, auch Sie, ist ersetzbar.  Haben Sie sich etwa nie gefragt, warum Sie tagtäglich mit einer Migräne aufwachen? Nein?! Dann viel Glück.“

Biep, Biep, Biep. Sein Kopf fühlte sich seltsam leer an beim Augenaufschlagen. Verwirrt setzte er sich auf, warf einen Blick auf die Porzellanschale mit den Spritzen entschied sich aber gegen eine.
Er trat hinaus und ihm wurde sogleich fürsorglich der Regenmantel umgelegt - Obermaterial: 55% Polyester, 45% Polyurethan, Futter: 100% Polyester- und einmal mit wenig Druck durchs Haar gewuschelt. Insgesamt 9.899 Tropfen aus der Sprinkleranlage prasselten auf seinen Regenmantel, als er die Plantage durchquerte. Sie alle liebten ihn noch immer … Obwohl er nun war wie Jade.

                              -Commander.991.Mars_X.exe wird ausgeführt.-

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Autorin / Autor: Gesine, 19 Jahre