Unter einem Himmel

Beitrag von Katharina Fliege, 17 Jahre

Teil 1

„Homo homini Lupus“
- Thomas Hobbes
(Der Mensch ist des Menschen Wolf)


Träume. Träume sind seltsame Geschöpfe. Für manch einen werden sie wahr, zu etwas Greifbarem und sind dabei doch gleichzeitig nicht existent. Denn wenn ein Traum wahr wird, dann wird er real und wer würde die Realität schon als Traum bezeichnen? Nein, der Mensch hat immer neue Träume, wünscht immer größere Dinge herbei und das Reale, das was vor der eigenen Nase steht, das ist nie einen Traum wert. Ein Traum ist ein Gedanke, nichts weiter als ein Hirngespinst und kurzlebiger als eine Sternschnuppe. Sterne und Träume sind nah verwandt. Beide zu weit weg, um sie zu erreichen, nutzlos für das Leben und am meisten beachtet, wenn sie fallen. Das spektakuläre Scheitern von Träumen, der tiefe Sturz aus dem Wolkenschloss und harte Aufprall auf dem Boden der Tatsachen. Nur wenig wird von den Menschen stärker verfolgt, als das Scheitern von Träumen. Sei es die Liebe, das Geld oder Erfolg, alles Glück sind Träume, die wahr wurden und so schnell verglühten, wie ein Gedanke verweht, alles mit Argusaugen verfolgt von den Menschen um den Brennenden herum. Die Meute, die gierig nach Tragödien lechzt, die sie sehen will, damit sie von ihrem eigenen stumpfen Leben abgelenkt sind und sich freuen können, dass ihnen so etwas nicht passiert. Dass ihr Leben in geregelten, sicheren Bahnen verläuft, einzig durchbrochen von der Suche nach mutigen Schicksalen in der Asche. Eine Suche, der jedes Mittel recht ist und die keine Rechte kennt. „Hier bin ich und ich will!“, rufen sie wie der Konsul, der beim Gladiatorenkampf unterhalten werden möchte. Dass ihre Unterhaltung das Leid anderer ist, ist nicht von Interesse. Eine Handbewegung für Leben oder Tod genügt. Und dabei immer bequemer leben. „Warum nach Unterhaltung suchen? Soll sie doch zu mir kommen.“, tönt es aus allen Ecken. Schneller, höher, weiter - kurz: besser, soll es werden. Der Mensch allein ist nicht genug. Nein, der Mensch allein gleicht einem Schöpfergott und kreiert sich eine neue Art aus Metall und Berechnung. Eine Art, die den Ansprüchen genügt und nichts mit dem zu tun hat, das der Technik bisher glich. Der Roboter wird ein besserer Mensch, effizienter, dienlicher und anspruchslos. Dass Metall, das keine Träume hat, wird keine Ansprüche stellen. „Bequem und wunderbar!“, wird das neue Leben angepriesen. „Um nichts muss man sich mehr kümmern!“, seufzen alle aus den Stuben. „Ein Traum wird wahr!“, rufen die lautesten von ihnen. Und doch sind sie es, die schon lange keine Träume mehr haben.


Teil 2

„To the people who look at the stars and wish. To the stars that listen and the dreams that are answered.“
-Sarah j. Maas

Wenn ich mein Leben mit drei Adjektiven beschreiben müsste, so wären es: klar, vernünftig und silbern. Warum gerade diese drei? Nun, klar, weil alles auf unserer Seite der Mauer klar ist. Es ist klar, wie jeder Tag verläuft. Klar, Welchen Beruf ich gewählt habe. Klar, wen ich wann heiraten werde. Und klar, wie das Wetter in den nächsten zehn Jahren sein wird. Die Dinge sind klar konturiert, das Kraftfeld auf unserer Seite der Mauer ist klar wie Glas und auch die Suppen die wir essen sind klar. Vernünftig ist unser ganzes Leben. Jede Entscheidung ist vernünftig. Mein Lebenslauf ist vernünftig. Ja, selbst meine Geburt war vernünftig, denn es war klar, dass ich ein mathematisches Talent entwickeln würde. Silbern ist mein Leben, weil Metall silbern ist und hier fast alles aus Metall besteht. Von Metall und den daraus bestehenden Maschinen hängt alles ab. Unsere Maschinen sichern unser Überleben, wobei ich der festen Überzeugung bin, dass unsere Seite der Mauer innerhalb von einer Woche zu Grunde gehen würde, wenn sie ausfallen würden. Daher sind die silbernen Helfer ein fester Teil meines Lebens und unersetzlich. Das erstaunliche daran ist jedoch, dass es sie erst 100 Jahre lang gibt. Aus dem Geschichtsunterricht weiß ich, dass im letzten Jahrhundert die große Trennung stattfand. Es gab viele Auseinandersetzungen, die durch die modernen Kriegstechnologie immer verheerendere Auswirkungen hatten. Erst als ein ganzes Land durch eine Bombe restlos vernichtet war und es nicht einen Überlebenden gab, hielt man inne und hörte auf die entsetzten Stimmen aus dem Volk. Viele von ihnen, zum Teil ganze Länder, wollten die Technik vernichten. Sie wollten sich komplett von ihr lösen und in die Zeit vor Hyperspace und sogar Internet zurück. Ein weltweiter Entscheid beschoss die große Trennung und jedes Land wurde in zwei vergleichbare Teile gespalten. Die eine Seite, von einer Ziegelmauer umgeben, war bar jeder aktuellen Technik und etwa auf dem Stand von 1880. Die andere Seite, meine, war von einem Kraftfeld eingeschossen, dass jedes Lebewesen bei Kontakt zu Asche zerfallen ließ. Und so ist es bis heute. Jedes Jahr findet auf beiden Seiten die Wahl statt, bei der alle Jugendlichen, die in der Zwischenzeit das einundzwanzigste Lebensjahr vollendet haben entscheiden, auf welcher Seite sie leben möchten. Danach gibt es kein zurück. Doch welcher Mensch von unserer Seite würde sich auch für die Welt dort drüben entscheiden? Das wäre ganz und gar unvernünftig, wo wir hier doch alles haben, was der Mensch braucht. Im Unterricht, den man nur besucht, um zu erkennen, welches für die Gesellschaft nützliche Talent in jedem Kind steckt, habe ich gelernt, dass man vor 100 Jahren noch mit Autos oder Flugzeug reisen musste und sich nicht teleportieren konnte. Wenn man sich nur vorstellt, wie viel Zeit das Fortbewegen damals gebraucht hat und drüben immer noch braucht, ist doch schon klar, was man wählt, oder? Außerdem muss, man dort richtig arbeiten, also mit dem Körper. Da ist unser Hyperspace, den wir über den kleinen Chip in unserem Kopf erreichen können, doch deutlich bequemer. Ich zum Beispiel schließe nur die Augen und bin schon an meinem Arbeitsplatz. Wobei man das nicht mit der Arbeit von früher vergleichen kann. Ich bin Programmierer, weil meine Eltern viel Geld für meine mathematischen Fähigkeiten bezahlt haben, als meine DNA vor der Geburt bearbeitet wurde. Dafür gehöre ich zu den 10% der Bevölkerung, die bei uns arbeiten und genieße Privilegien, die andere nicht haben. Ich habe z.B. meine Emotionen behalten, die kaum ein anderer auf unserer Seite behalten durfte, da sie zu vielen Streitereien führen. Nach der Entdeckung der chemischen Formel von Glück waren sie sowieso überflüssig. Ich habe eine goldene Krankenversicherung, weshalb ich wahrscheinlich 130 Jahre leben werde. Dafür teilt meine Zahnbürste der Verwaltung jedoch auch mit, was ich Ungesundes gegessen habe, und erhöht meinen Beitrag. Unsere Gesellschaft ist effizient, weil Roboter das perfekt ausführen, was früher Menschen tun mussten. Jeder ist bei uns glücklich, weil wir die richtigen Medikamente dafür haben. Es könnte der Himmel auf Erden sein: Klar, vernünftig und silbern.
Und doch ist nie klar gewesen, dass ich jeden Abend unvernünftig auf dem Dach meines Hauses sitze, die goldenen Sterne ansehe und träume. Dass ich warte, bis auf der anderen Seite der Mauer ein Mädchen eine unvernünftige, goldene Himmelslaterne steigen lassen wird. Und dass ich mir von den Sternen wünsche, ich wäre dort.

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Autorin / Autor: Katharina Fliege, 17 Jahre