Familienzuwachs...

...oder: Ich liebe dich, Leben!

Oh, wie ich mein Schicksal liebe. Dachte ich bisher immer. Schließlich kann da was nicht richtig laufen, wenn es mein Schicksal ist, mit einem Schuh in einem Kaugummi und einem verhedderten Pulli am Berliner Hauptbahnhof zu stehen und zu sehen, wie meine "liebe" Familie plus große Schwester in einen Zug nach München einsteigt und mich ganz offensichtlich hier vergisst... Was ja nich´ so das Problem wäre, wenn ich nich´ festhängen würde. Jetzt fährt der Zug auch noch an. Hey Freunde, wir sind nur auf Durchreise! Ich will losschreien: "Hallöchen, hier wurde was vergessen." Aber es klappt nich´, mein Mund ist furchbar trocken - tolle Situation. Ich liebe dich, Leben, aber ich glaube, es nähert sich gerade eine kleine Beziehungskatastrophe. "Ich krieg ´ne Krise, wenn mir nicht gleich einer hilft", brülle ich. Einige Leute sehen mich verwundert an. OK, ein bisschen hart. Ich relativiere: "Oh Hallöchen, wenn mir nicht gleich irgendjemand ganz, ganz Liebes hilft, fackel ich hier alles ab." Ups, das war´s nich´. Was will der Polizist denn von mir? Im Moment scheint einfach alles schief zu laufen.

Und wohin jetzt?

"Hallo? Wo ist denn deine Familie?" fragt er. "Auf dem Weg nach München", brülle ich zurück. Fünfzehn Minuten später sitze ich mit kaugummiverschmierten Schuhen, einem Loch im Pulli, und ernster Miene - in einem Polizeiwagen. "Wo geht's denn hin, he he?" frage ich und versuche, nett zu klingen. "Zu deinem Onkel", erklärt der Polizist und bemüht sich kein bisschen um Freundlichkeit. "Das is´ aber ´n ganz schönes Stückchen, oder meinen Sie nich´? "Wenn du zwei Straßen als weit empfindest, ist das deine Sache." "Mein Onkel wohnt in Australien!" "Hhm, dann is´ er halt umgezogen", brummt er mürrisch und beendet das Gespräch. Wow, ich hab ´nen neuen Onkel, is´ ja herrlich...

Das neue Familienmitglied

Fünf Minuten später, als wir vor der Haustür meines "Onkels" stehen, wird mir flau im Magen. Nur weil der Typ denselben Nachnamen hat, is´ er doch nich´ gleich mein Onkel. Ich drücke auf die Klingel. Die Tür öffnet sich und vor mir steht ein alter Kerl in Latzhose und einem komischen Ding auf dem Arm, das einer Würgeschlange ähnelt und liebevoll "mein kleiner Schatz" genannt wird. Er riecht nach Knoblauch. Oh Scheiße. Der Polizist verzieht sich mit übertrieben freundlichem Gesicht, winkt mir zu und ruft: "Viel Spaß noch." Ich liebe dich, Leben.

Das ist keine Fortsetzungsgeschichte. Das Ende ist bewusst offengelassen.

Autorin / Autor: Metze - Stand: 11. Oktober 2002