Die Gefühlsfabrik

Kurzgeschichte von Annemie, 22 Jahre

Ranja zog ihre gelbe Mütze von ihren dichten, lockigen Haaren, als sie das Café betrat. Sie setzte sich an den Tisch am Fenster und schaute dem Regen zu, während ein Bedienungsbot zu ihr flog.
„Einen Kamillentee“, bestellte sie. Nach kurzem Zögern fügte sie noch schnell hinzu: „Und einen Shot Zuversicht, bitte.“
Der Bildschirm des Bots zeigte an: „Bestellung aufgenommen. Bitte warten sie einen Moment auf ihre Bestellung.“
Es war noch früh am Morgen, das Café war fast leer, bis auf ein paar Kaffeeschlürfende im Halbschlaf.
Ranja musste nur wenige Sekunden auf ihre Bestellung warten. Der Kamillentee, der wie üblich mit seinen Luftdüsen zu ihr flog, kam als erstes an. Ranja tippte den Löffel an, der unmittelbar anfing den Tee umzurühren. Dann flog ihr Shot Zuversicht an den Tisch und landete sanft neben ihrem Arm.
Mit leicht zitternden Händen öffnete sie den Shot. Normalerweise kaufte sie sich dieses teure Zeug nicht, doch heute konnte sie es gebrauchen. Es handelte sich dabei nicht um einen altertümlichen Alkohol-Shot, sondern um eine Emotion. Ranja mischte die violette Flüssigkeit in ihren Tee, damit es nicht so bitter schmeckte. Mit drei großen Schlucken trank sie die ganze Tasse leer. „Guten Appetit“, stand in Neonlettern auf der Tischplatte.
Während sie per Fingerabdruck auf dem Tisch bezahlte, zog sie sich ihre gelbe Mütze wieder über den Kopf und ging dann hinaus in den Regen.
Heute war Ranjas erster Arbeitstag in der Fabrik. Die Fabrik war eines der wenigen Gebäude in der Stadt, das nicht aus grünen Glasscheiben gebaut war, die Energie herstellen konnten. Es musste seine Energie auf ganz herkömmliche Weise von Windkraftanlagen beziehen.
Als sie am Tor ankam, wurde sie dort schon von einer Gestalt in grau erwartet. Der Mann war kleiner als Ranja, etwas dicklich und hatte kaum mehr Haare auf dem Kopf. Doch er strahlte sie herzlich an und streckte ihr seine Hand entgegen.
„Challo!“, sagte er mit starkem Akzent. „Mein Name ist Kollor. Ich werde dir den Fabrik zeigen!“ Er nahm Ranjas Hand und zerquetschte sie fast.
„Ranja.“ Sie spürte, wie die Zuversicht in ihr zu wirken begann.
„Freut mich sehr! Folge mir“, antwortete Kollor. Sie gingen auf das große Hauptgebäude zu. „Rechts chier, das ist Lager eins und links, das ist Lager zwei. Chier du musst hinbringen die verschiedene Lieferungen.“
Ranja nickte.
„Jetzt wir betreten den Hauptgebäude“, erklärte Kollor und stieß die Türen zu einem einzigen riesigen Raum auf.
Kollor kannte scheinbar jeden in der Fabrik. Jeder einzelne Arbeiter grüßte die beiden freundlich. Kollor zeigte ihr die verschiedenen Gefühlsstationen, die alle farblich gekennzeichnet waren. Bei der roten Maschine wird Wut hergestellt, bei der gelben Fröhlichkeit, bei der violetten Zuversicht, und so weiter. Insgesamt gab es sieben Emotionen, die diese Fabrik herstellte.
„Wir machen keine Zuneigung, zu viele Probleme, aber wir sind weltweit größte Lieferant für Wut! Das ist doch schön!“ Kollor lachte laut und ein paar der umstehenden Arbeiter stiegen auch mit ein.
Ranja nickte. Der Job schien sehr schön zu sein! Die Arbeiter waren alle freundlich, die Maschinen waren nicht gefährlich und sie wurde auch für den Job bezahlt. Nicht gut, aber immerhin.
„So, und jetzt wir kommen zu deiner Aufgabe“, sagte Kollor und machte eine Geste zur gelben Maschine hin. „Chier chinten, du siehst, kommen die Fläschchen mit den Emotionen cheraus. Die Fröhlichkeit-Fläschchen, vierhundert Stück, musst du dann alle zusammen transportieren in Lager eins, ich chabe dir vorher gezeigt. Und dann, wenn du wieder leer bist, transportierst du die anderen in Lager zwei.“
„Und dann wieder vierhundert in Lager eins?“, fragte Ranja. Die Arbeit schien einfach zu sein. Das gefiel ihr gut.
„Nein, nein, nur einmal pro Tag vierhundert Stück in Lager eins. Danach alle immer in Lager zwei.“ Kollor hielt Ranja zwei dicke Wurstfinger ins Gesicht, um Lager zwei zu verdeutlichen. Dann lachte er. „Du schaffst das schon. Ist schöner Job, guter Job.“ Er lächelte sie an, sah sich kurz um. Dann zeigte er auf ein kleines Fenster. Dahinter befand sich der einzige abgeschlossene Raum der ganzen Fabrik. „Chier ist Chef drin. Wenn du noch etwas brauchst, ich arbeite bei Wut. Viel Spaß!“
Kaum war Kollor weg, fing Ranja an Kästen voller Fröhlichkeit-Fläschchen auf einen Trasportbot zu hieven und fuhr sie rüber zu Lager eins. Danach fuhr sie zu Lager zwei, bis eine laute Glocke läutete.
„Feierabend!“, rief Kollor und alle jubelten. Kollor kam zu Ranja rüber und schlug ihr heftig auf die Schulter. „Cherzlichen Glückwunsch, erster Tag geschafft!“
„Danke“, sagte Ranja. Sie spürte, wie langsam der Zuversicht-Shot nachließ.
„Komm mit zu Lager eins, wir machen ein kleine Feierabendparty.“
Zögernd ging Ranja ihren Kollegen nach.
Als Kollor die Tür zu Lager eins öffnete, fand sie dort all ihre Kollegen wieder. Sie öffneten sich gerade alle einen Shot Fröhlichkeit.
Ranja runzelte die Stirn, während Kollor ihr schon einen Shot in die Hand drückte.
„Ich kann dafür nicht bezahlen“, sagte sie leise zu Kollor.
Er kicherte in sich hinein. „Niemand bezahlt. Geht auf Firma.“
Ranja beobachtete die anderen. Manche waren schon beim dritten oder vierten Shot angelangt.
„Und unser Chef, der weiß davon?“, fragte sie Kollor.
Kollor lachte herzlich. „Nein, nicht wirklich. Aber er nichts merken. Er ist jede Tag so high von Shots, ich glaube, er ist froh, wenn er noch findet den Weg zu Firma.“ Wieder lachte Kollor herzlich, als hätte er den Witz des Jahrhunderts gemacht. Einige Kollegen stiegen mit ein.
„Na komm!“, sagte er dann und hob Ranjas Fläschchen etwas an. „Ansonsten wirst du diese Job niemals überleben.“
Ranjas Herz raste. Sie wusste nicht, was sie tun sollte.
„Schmeckt gut“, fügte Kollor hinzu und trank sein zweites Fläschchen.
Vorsichtig öffnete Ranja den Trank. Sie schnupperte einmal kurz daran. Fröhlichkeit roch ganz anders, als Zuversicht. Viel süßer, ein wenig nach Limonade. Es hatte eine goldene Farbe. Ranja setzte das Fläschchen an ihren Lippen an.
Bevor sie sich versah, hatte sie den ganzen Shot geleert.
Das ist falsch, dachte sie gerade. Ich sollte das melden.
Doch dann fing der Shot an zu wirken.

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