Ich weiß was ich will

Von meinem Entschluss, mit Behinderten arbeiten zu wollen

Ausrufe wie „Das könnte ich nicht!“, „Das kannst du doch nicht dein Leben lang machen!“ oder „Werd doch was normales!“ habe ich schon dutzende Male gehört, seit ich nach meinem Praktikum in einer Sonderschule für geistig Behinderte den Entschluss gefasst habe Sonderpädagogik zu studieren. Ich finde nicht, dass es etwas Außergewöhnliches ist und ich habe aufgehört diese seltsamen Ausrufe zu zählen, nach denen man glauben könnte ich wollte Fallschirmspringerin oder Minenentschärferin werden. Meine Familie steht hinter mir und meine besten Freundinnen auch. Manche von ihnen haben selbst nicht alltägliche Berufsziele. Eine will Goldschmiedin und eine Musikpädagogin werden. Wieder eine andere will zum Fernsehen.

*Behinderte sind keine sabbernden, agressiven Wesen*
Was ich nicht verstehen kann ist, dass in den Köpfen der Menschen immer noch solch ein schlechtes und verfälschtes Bild von Behinderten haben. Manchmal glaube ich, die meisten stellen sich eine Behinderteneinrichtung als einen dunklen Bunker vor, in dem sabbernde und aggressive Wesen vor sich hinvegetieren. Das ist aber meist weit an der Realität vorbei. Ein Großteil der Kinder ist freundlich und aufgeschlossen. Sie sind sehr anhänglich und schließen einen sofort in ihr Herz – und man tut dasselbe auch mit ihnen (zumindestest meistens ;-)). Ich glaube so viel umarmt worden wie in den drei Wochen meines Schülerbetriebspraktikums bin ich sonst noch nie in so kurzer Zeit. Wenn man mit Behinderten arbeitet, ist einem immer weniger bewusst, dass sie „anders“ sind. Man freut sich einfach mit ihnen, wenn sie stolz nach langem Probieren und Motivieren endlich das gewünschte Ergebnis erzielen. Ich erinnere mich ganz besonders an eine Szene, bei der ein kleines Mädchen mit Down-Syndrom, dass trotz seiner 9 Jahre noch so klein und zart aussieht, wie eine 6 bis 7-Jährige und die man so schnell unterschätzt, dass es manchmal fast peinlich ist, die mir zuerst ganz ernst die Hand gab, als wollte sie signalisieren „ich bin auch schon groß!“ und mich dann ganz spontan, wie aus einem plötzlichen Entschluss heraus, in den Arm nahm und drückte.

*In den Arm nehmen und lächeln*
Natürlich hat der mir angestrebte Beruf nicht nur Vorteile, aber welcher Beruf ist schon perfekt. Es gibt Tage, da sind einzelne Kinder so überreizt, übermütig und aggressiv, dass der Tag schon morgens verloren ist, weil sie die anderen mit ihrem Verhalten anstecken. Viele Behinderte lernen fast nur durch Nachahmung. Außerdem verlangt die Arbeit mit geistig Behinderten ein hohes Maß an emotionaler Belastbarkeit, weil vor allem der Umgang mit milieugeschädigten Kindern, also missbrauchten oder misshandelten Kindern, die weder eine materielle Grundlage noch intakte Familienverhältnisse haben, nicht immer einfach ist. Man darf die Schicksale nicht zu nah an sich herankommen lassen, sonst hält man die Arbeit seelisch einfach nicht durch. Näturlich gibt es manchmal Augenblicke in denen das schwer ist und einem fast die Tränen kommen. Eine Sache, die mir sehr zu Herzen gegangen ist, war, dass ein Mädchen mich erst beim Abwischen des Mittagstisches beobachtete und dann sagte ich würde aussehen wie ihre Mutter – ihre Mutter, die sie geschlagen hat und die sie trotzdem über alles liebt. Aber was tut man, wenn so etwas passiert, man kann ja nicht einfach anfangen zu heulen, schließlich kann das betreffende Kind ja nichts dafür. Also lächelt man einfach und nimmt es in den Arm. Das ist nicht immer einfach – aber es geht.

Ich würde mich freuen, wenn ich ein paar Rückmeldungen bekommen würde unter filli(at)lizzynet.de

Autorin / Autor: filli - Stand: 28. Feburar 2006