Traumwelten?!

"Papa war heute im Krankenhaus, die Ärzte haben herausgefunden, dass er Krebs hat..."

Soundtrack of my life

Vor ein paar Monaten bin ich 15 Jahre alt geworden. In diesen 15 Jahren, die ich auf dieser Welt bin, habe ich traurige, fröhliche und erschreckende Dinge erlebt und Bilder gesehen. Ich habe viel mit dem Tod zu tun gehabt, er hat mein Wesen geformt, teilweise sogar gestärkt, jedoch zuerst geschwächt.
Durch ihn habe ich gelernt, wie verdammt schmerzhaft es ist, zu leben. Mein Leben sah ich oft als sinnlos und dumm an, ich habe es oft gehasst, aufgrund anderer Mitmenschen. Ich wollte nicht *ich* sein, habe mich in eine Traumwelt geflüchtet und wurde ruhig und in mich gekehrt. Doch die Wunden heilen mit der Zeit und jeder Tag formt mich von Neuem; aus irgendeinem Grund habe ich wieder angefangen zu leben. Und an dieser Stelle danke ich meinen beiden besten Freunden Lysann und Jana.

Im Mai 1987 bin ich in Groß-Gerau geboren. Meine Mutter ist aus dem Sauerland, mein Vater Hesse. Ich habe eine ältere Schwester, die ist  17 Jahre alt. Wir lebten eine geraume Zeit in einem Ort bei Hessen, dort hatte ich kaum Freunde, weil ich noch sehr klein und die jüngste bei uns in der Straße war. Da mein Vater, der bei der ESOC ("European Space Agency`s Operation Center") arbeitete, dann nach Bonn musste, sind wir in eine Stadt zwischen Bonn und Köln umgezogen. Dort gab's einige Gleichaltrige und ich fand sehr schnell Freunde, weil meine Mutter mit mir in eine „Grabbelgruppe“ ging, es war immer der schönste Tag in der Woche und an viele Dinge kann ich mich jetzt sogar noch erinnern.

Eines Tages...

Ich war in der Grundschule und ich kam eines Mittags nach Hause. Das Essen stand schon längst auf dem Tisch und meine Mutter und Pia hatten sich um diesen versammelt. Und obwohl ich spürte, das etwas nicht in Ordnung war, fragte ich nicht nach. Wir aßen mehr oder weniger begeistert das Essen, als Mama plötzlich das Besteck hinlegte und die Hände faltete. "Papa war heute im Krankenhaus, die Ärzte haben herausgefunden, dass er Krebs hat..." Meine Schwester Pia ließ abrupt Messer und Gabel fallen und schloss Mama weinend in die Arme, ich dagegen blieb auf meinem Stuhl sitzen und aß seelenruhig weiter. Nachher sollte mich meine Schwester dafür noch anfahren, wie ich denn so kalt sein konnte, aber jeder Mensch hat seinen eigenen Stil, seine Trauer auszudrücken und zu verarbeiten. Die kommenden 2 Jahre wurden hart für uns alle. Mein Dad musste mehrere OPs über sich ergehen lassen, die aber nicht viel nützten. Am 20. 1. 1996 wurde er dann endlich erlöst. Er starb im Krankenhaus, nachdem er am Abend zuvor mit Wasser in den Lungen eingewiesen wurde. Ich hatte zu Nachbarn gehen sollen, ohne Pa "Goodbye" und "Leb wohl" zu sagen. Ich sah nur noch den Krankenwagen wegfahren - von der Haustür meiner Nachbarin aus...
Um unsere Trauer zu lindern bekam meine Schwester einen Hamster, ich zwei Meerschweinchen. Ich, meine Ma und meine Schwester, wir sind alle durch die Hölle gelaufen. Ich war für ca. ein halbes Jahr in einer Familienberatung, in der ich wirklich sehr viel Hilfe bekommen habe. Bei unüberwindbarem Trauern ist das sehr zu empfehlen und man sollte sich dafür auch nicht schämen; in Amerika hat auch fast jeder einen Therapeuten.

Erinnerungen

Viele denken, wenn ein geliebter Mensch stirbt, dann ist er fort für immer, aber so lange man sich noch an ihn erinnern kann, dann ist er nur fern, nur der Vergessene ist wirklich tot. Leider steckt in diesem wirklich hoffnungsvollen Zitat nur wenig Wahrheit, wie ich im Laufe der Zeit am eigenen Leibe erfahren muss. Mit jedem Tag, mit jeder Woche, mit jedem Jahr vergisst du gewisse Einzelheiten, wie er, der Tote also, roch, wie seine Stimme klang, was er am liebsten aß, wie er sich bewegte, was er am liebsten tat und wenn ich keine Fotos hätte, wüsste ich noch nicht einmal, wie er aussah. Ich hatte zuerst, wenn überhaupt, nur schlechte Erinnerungen an meinen Papa, doch erst jetzt mit der Zeit kommen auch die guten wieder zu mir zurück, ich sehe kein böses Gesicht mehr, sondern warme barmherzige Augen.

Ich bin froh, das Schlimmste überstanden zu haben. Der Tod ist schmerzlich, aber er öffnet erst die wirklichen Türen zum wahren Leben. Vielleicht ist das Leben auch einfach nur ein Traum und der Tod ist das Erwachen in einer friedfertigen, wunderbaren anderen Welt.
Aber ich weiß, ich träume zu viel.

Autorin / Autor: LadyShinigami, 15 Jahre - Stand: 15. November 2001