Amerika(?)!

Hier eine kurze Freundschaftsgeschichte aus der Sicht der Freundinnen Lilli und Laura

*Lilli*
Was? Wie bitte? Was hat Laura da eben gesagt? Sie will nach Amerika? Echt? Und ich? Meine beste Freundin grinst, als sie mein Gesicht sieht und wiederholt: "Ich gehe für ein Jahr nach Amerika." Was gibt es da zu grinsen? "Für ein ganzes Jahr?" "Ja, aber ich weiß noch nicht genau wohin. Das kommt darauf an, wo meine Austauschfamilie wohnt." Ich kann es nicht fassen! Meine beste Freundin hat mir gerade erzählt, das sie für ein ganzes Jahr verschwinden wird. Sie kann mir auch gleich die Freundschaft kündigen. Ich sehe noch einmal in ihr grinsendes Gesicht, sie freut sich wahrscheinlich, dass sie mich so überrascht hat, dann laufe ich aus ihrem Zimmer, knalle die Tür zu und renne an ihrer verdutzten Mutter vorbei die Treppe hinunter. Raus aus diesem Haus! Weg von dieser Freundin!

*Laura*
Jetzt schnappt Lilli aber total über. Nur weil ich für ein Jahr wegfahre, muss sie doch nicht gleich so ausflippen. Ich hätte nicht gedacht, das sie das so ernst nimmt! Ein Jahr, soviel ist das ja auch nicht! Außerdem weiß sie doch selber, was für eine Niete ich in Englisch bin und das ich dringend mal raus will aus diesem langweiligen Leben hier. Irgendwie fühle ich mich aber auch glücklich. Sie hat diesen Ausraster wegen MIR bekommen. Weil sie mich, ihre beste Freundin vermissen wird. Ich werde sie auch vermissen, aber Amerika ruft! "Was war das denn eben?" Meine Mutter platzte mal wieder in meine Gedanken herein. "Das war Lilli", erwiderte ich.

*Lilli*
Ich sehe Laura kein einziges Mal an, heute, das habe ich mir fest vorgenommen. Sie macht das gleiche. Ich denke lieber nicht mehr an gestern. Es ist so ein Tag gewesen, den ich am liebsten vergessen würde. Sogar nachts habe ich mir noch die Augen ausgeheult. Auch jetzt merke ich, dass sie wieder feucht werden. Schnell wische ich die Tränen weg. Hoffentlich hat sie nichts gemerkt. In der Pause sitze ich allein auf einer Bank und esse mein Pausenbrot. Mein Handy klingelt. Laura hat eine SMS geschrieben: DANN SUCH DIR DOCH NE ANDERE FREUNDIN, DIE MIT DEINEN MACKEN KLARKOMMT. LAURA Na super, die gleiche SMS könnte ich auch an sie schicken. Ich müsste nur meinen statt ihren Namen unter schreiben. Wer hat denn hier Macken? Wer möchte nach Amerika? So schlecht in Englisch ist sie ja auch nicht! Plötzlich steht Elisa, ein Mädchen aus meiner Klasse vor mir. Sie ist ziemlich unbeliebt, weil sie sich oft wie ein Baby aufführt. Die hat mir gerade noch gefehlt! Wahrscheinlich will sie Gummitwist spielen, das macht ihr besonders Spaß. Tatsächlich. Sie hält mir das Gummi genau unter die Nase. Einen Moment denke ich an Laura. Mit ihr hätte ich Besseres zu tun gehabt, als Gummitwist spielen! Schnell verdränge ich diesen Gedanken wieder. Ich bin doch sauer auf sie! "Nerv mich nicht", sage ich zu Elisa und stoße sie nicht gerade sanft weg, "ich habe andere Probleme, als mit dir solche Baby-Spiele zu spielen!" Elisa dreht sich um und geht wieder zu den anderen aus meiner Klasse. Auch Laura ist dabei. Elisa zeigt auf mich und äfft mich anscheinend nach, denn alle lachen. Auch Laura. In der nächsten Schulstunde fragt Laura unseren Klassenlehrer, ob sie sich neben Jasmin setzen dürfe. Sie darf. Jetzt sitze ich ganz allein und frage deswegen, ob Sonja neben mich kommen könne. "Nein, das wird mir jetzt zu viel, wir wollen nicht die ganze Sitzordnung ändern!", erklärt mein Lehrer und beginnt mit dem Unterricht. Laura grinst mal wieder.

*Laura*
Die SMS, die ich in der Pause an Lilli geschickt habe, bereue ich schon wieder. Ich habe wohl auch ein bisschen überreagiert. Wer weiß, was ich für einen Schock gekriegt hätte, wenn Lilli plötzlich für eine längere Zeit verreisen würde. Ich seufze. Soll ich vielleicht bei ihr anrufen und mich entschuldigen? Sie ist eine tolle Freundin gewesen. Neben Jasmin zu sitzen ist einfach todlangweilig und eigentlich bin ich doch an dem ganzen Streit Schuld. Rrrriinnggggggggg... das Telefon klingelt. Ich nehme ab. "Lilli? Bist du's?", frage ich. "Wie bitte? Hier spricht Herr Meyer-Kunz von der Austausch-Agentur "Ab in die Staaten". Spreche ich mit...", die Stimme räusperte sich, "mit Laura Steiner?" "Äh ja, das bin ich." Ich bin ziemlich verwirrt, denn ich habe wirklich Lilli erwartet. Aber jetzt bin ich neugierig und mein Herz klopft. Vielleicht wird mir dieser Mann gleich sagen wo und in welcher Familie ich das kommende Jahr verbringen werde. „Es tut mir Leid, aber für Sie fällt der Austausch aus!“ „Was??“ Habe ich richtig gehört? Was hat dieser Mann gerade gesagt? Wozu siezte er mich überhaupt? „Ja, alle Familien, die sich angemeldet haben sind leider schon voll. Wir haben dieses Jahr sowieso nicht viele. Sie bekommen Ihr Geld natürlich zurück und...“ Ich schmeiße den Hörer auf. Das gibt es ja nicht! Alles fällt aus! Alles umsonst! Kein Amerika, sondern zu hause rumhängen! Keine Reise, sondern versauern! Ich habe mich so gefreut! Auch Lillis und mein Streit war umsonst gewesen. Und dafür dieses ganze Theater. Das muss ich ihr gleich erzählen. Ach nee, lieber nicht. Die würde glatt denken ich hätte wegen ihr und unserem Streit abgesagt, aber DAS hätte ich NIE getan!

*Lilli*
Heute will ich Laura wieder ignorieren und hoffe, dass der endlose schulverseuchte Vormittag endlich ein Ende hat. Aber jedes Mal wenn ich mich umdrehe um nicht in ihr Gesicht zu sehen, lächelt sie mich an, als hätten wir uns nie gestritten und diesmal ist es nicht ihr nerviges Grinsen. Sie setzt sich auch wieder neben mich, obwohl Jasmin sie anschaut, als hätte sie gerade in eine Zitrone gebissen. Hat Laura vielleicht ein schlechtes Gewissen? Pech. Ich würde hier, an ihren letzten Tagen in Deutschland, nicht für sie den Gute-Laune-Macher spielen. Sie lächelt mich schon wieder an (macht sie eine Kur für Lachfältchen, weil die so niedlich sind oder war sie gestern beim Zahnarzt?). Ich schaue weg, sonst lächele ich wohlmöglich noch zurück. Mein Handy zeigt gerade eine neue SMS an. Einen Moment lang warte ich bis sich unsere Deutschlehrerin wieder der Tafel zuwendet, dann lese ich sie. SORRY. WOLLEN WIR UNS NICHT VERTRAGEN? ICH MUSS DIR IN DER GROßEN PAUSE UNBEDINGT WAS ERZÄHLEN.LAURA Als Laura mich das nächste Mal anlächelt, lächele ich zurück.

Zwei Wochen später liegt in einigen Briefkästen von Mitschülern aus Lillis und Lauras Klasse eine Ansichtskarte: Hallo ihr alle, Wir sind in New York. Echt! Als wir uns endlich alles erzählt, geklärt und alle Missverständnisse aus dem Weg geräumt hatten, hatte Lilli diese super Idee. Unsere Eltern haben die Reise bezahlt, dafür dürfen wir dann im Sommer nicht mit in den Urlaub. Lauras Mutter ist als einzige mitgekommen auf unsere „Freundschaftsreise“. In zwei Wochen sind wir wieder in Deutschland, aber vielleicht lernen wir ja auch in dieser kurzen Zeit ein bisschen für Englisch dazu. Viele Grüße Lilli und Laura

Autorin / Autor: JUJUJU - Stand: 5. Juli 2004