Ich bin nicht bei Facebook

Beitrag zum Schreibwettbewerb "Total digital" von LadyJanna, 20 Jahre

»Ich bin nicht bei Facebook, tut mir leid«, sagte Melanie mit einem gespielt bedauerndem Lächeln, während das Gesicht ihres Gegenübers für eine Viertelsekunde zu Eis gefror, bevor er sich zusammenriss und sie mit dieser falschen Neugier fragte: »Warum nicht?«  Sie könnte ihm jetzt eine Antwort geben, die ihr Gespräch wieder auf die Ebene brachte, auf der es vor zwei Minuten noch gewesen war – die Ebene auf der ein Typ offensichtliches Interesse an einem Mädchen zeigte. Aber das hatte sie nicht vor. »Ich halte es für unnötig und sozial schädigend«, erklärte sie ihm knapp. Wäre er eine andere Antwort wert gewesen, hätte er jetzt weiter nachgefragt und wirkliches Interesse bewiesen. So aber kam nur, als sei es der letzte Hoffnungsschimmer, die Frage: »What’s App?« Kurz lachte Melanie auf aber antwortete rasch, bevor er Hoffnung schöpfen konnte: »Nope. Sorry.«, und das obwohl es ihr nicht im geringsten leid tat. Für einige unangenehme Sekunden herrschte zwischen ihnen Schweigen und sie war nicht gewillt es zu brechen.

Melanie konnte an seiner Körperhaltung erkennen, dass er seine Meinung über sie geändert hatte. Nachdem sich die Sekunden hinzogen und zu Minuten wurden, ließ er sich Melanies Handynummer geben ... und das obwohl sie kein What’s App besitzt. Melanie hatte kein Problem damit, sie ihm zu geben. Denn es wussten beide, dass er sich weder trauen würde, sie anzurufen, noch Lust hatte, Geld an sie zu verschwenden, indem er ihr SMS schickte. Sie gingen auseinander mit dem Bewusstsein sich nicht mehr wiederzusehen. Melanie fand das nicht schlimm und der Typ bestimmt auch nicht. Es stimmte natürlich nicht. Es stimmte nicht, dass sie nicht bei Facebook war. Auch What’s App hatte sie sich schon als eine der Ersten runtergeladen - nur eben auf einem zweiten Handy. Aber gab es eine einfachere Art einen Typen los zu werden?

Melanie hatte diese Methode Typen abzuwehren vor ein paar Monaten entwickelt und sie funktionierte tadellos. Wann immer ihr ein Junge, der ihr nicht gefiel, zu nah kam und sie ihn einfach nicht loswurde, ließ sie irgendwann fallen, dass sie kein Facebook besaß und generell von diesen ganzen Social Media–Kram nichts hielt. Die Wirkung war verblüffend. Meistens waren die Männer schneller weg als wenn Melanie gesagt hätte, dass sie einen Freund hatte. Allerdings muss man den Kerlen zu Gute halten, dass sie meist aus ganz unterschiedlichen Gründen reiß aus nahmen. Melanie machte sich darüber keine Gedanken, aber es war so. Die eine Kategorie scheute den Aufwand, den es bedeutete, mit ihr nicht über Facebook oder über Whats App in Kontakt zu treten. Es bedeutete mehr Telefongespräche, vermehrte Treffen und eine Menge Komplikationen, wenn die Absprache nicht einwandfrei war. Es hätte schon zu Beginn der Beziehung einen erhöhten Einsatz an Kapazitäten benötigt, den viele nicht bereit waren aufzuwenden.

Die zweite Gruppe überschnitt sich meistens mit der Ersten. Ihr fehlten die finanziellen Mittel anstatt den Nachrichten übers Netz, für die sie eine Flatrate besaßen, SMS zu verschicken. Die Zeiten der SMS-Flats waren eigentlich schon seit 2015 vorbei. Und anrufen war ja generell immer etwas unpraktisch vor allem, wenn sie dann auch noch einen unpassenden Anbieter hatten. Einigen davon fehlte das Geld natürlich nicht, schließlich wurde Melanie nicht nur von schlechtaussehenden armen Schluckern angesprochen. Denen war das Geld dafür einfach zu schade. Und die wiederrum überschnitten sich mit einer dritten Gruppe. Diejenigen, die nicht das Geld oder der Aufwand schreckte sondern schlicht und einfach, die Andersartigkeit eines scheinbar normalen, wenn auch besonders gut aussehenden, Mädchens. Denn, so dachten sie, welcher normale Mensch kann heute noch ohne die Einfachheit von What’s App und Facebook leben? Was hat sie sonst wohl alles nicht? Keinen Fernseher? Keine anderen lebenserleichternden Apps? Würde sie ohne ein im Handy eingebautes Navigationsgerät überhaupt rechtzeitig zu den Treffpunkten finden? Solche Menschen erscheinen in den Augen von Anderen immer schon schwierig. Querulanten. Konformitätsverweigerer. Und was mit denen assoziiert wird, wissen schließlich alle. Und um so einen Menschen möchte sich weder Kategorie 1 bemühen, noch möchten Kategorie 2 und 3 für sie Geld ausgeben. Man möchte der guten Hälfte von ihnen ja noch nicht einmal unterstellen, dass es bewusst ablaufende Gedankengänge sind, die sie daran hindern, sich mit Melanie weiter zu beschäftigen. Meistens ist es alles einfach nur die natürliche Abwehrhaltung. Die haben wir alle bei ganz unterschiedlichen Dingen.

Es ist das Glück von Melanie, dass sie in eine Generation hineingeboren ist, die einen besonderen Schutzschild gegenüber Social Media–Gegner entwickelt hat. Und diejenigen, die all das nicht abschrecken würde, die zieht Melanie an den Orten, an denen sie sich bevorzugt aufhält, glücklicherweise selten an. Nicht, dass diejenigen die besseren Menschen sind oder hinter Fassaden blicken könnten. Aber diejenigen, die sich dem Gruppenzwang noch nicht unterworfen haben oder zumindest nicht jene komisch beäugen, die es nicht haben, die sind nun einmal selten geworden. Daraus ist niemandem einen Vorwurf zu machen. Es ist ja auch alles fürchterlich praktisch und unheimlich komfortabel. Alle sind immer in Kontakt, es kann niemand mehr aus den Augen verloren werden, Leute kennen zu lernen und vor allem besser kennen zu lernen ist so viel einfacher geworden. Jeder kann entscheiden, wie er von den Leuten wahrgenommen werden möchte. Der perfekte Mensch wird erschaffen und mit ihm die Möglichkeit, dass diese perfekten Menschen miteinander in Kontakt treten können. Außerdem ist es ja eh viel wichtiger, wer wir sein wollen als das was wir sind. Das was wir sind ist nur ein unfertiges Produkt und es nicht wert, der Welt präsentiert zu werden. Außerdem ist man generell ein besserer Mensch, viel charmanter, lustiger und geistreicher, wenn man mit zwei Bildschirmen zwischen sich kommuniziert.

Melanie interessiert das allerdings wenig. Für sie ist es eine Waffe und sie ist bereit sie einzusetzen. Den Männern, die sie kennen lernen will, denen gibt sie natürlich gerne ihren Facebook-Namen, und auch die What’s App–Nummer wird ohne Zögern herausgegeben. Sie denkt nicht darüber nach, was es für sie bedeutet, dass die Männer so leicht aufgeben. Sie denkt nicht daran, dass es eigentlich eine Beleidigung ist -  für sie, die immer so viel Wert auf den ersten Auftritt legt, nicht mehr Aufwand wert ist als eine kostenlose Whats App–Nachricht. Das kaum einer ihren ersten Auftritt beeindruckend genug findet, um 5 Cent SMS in Kauf zu nehmen. Die Handys sind nicht das Problem, das Problem ist, was Melanie mit ihnen anstellt. Sie und alle anderen instrumentalisieren es, um die perfekte Version von sich selbst zu erschaffen und das, weil sie selbst nur perfekte Menschen um sich herum wahrnehmen wollen. Das Handy wird zum Symbol für Perfektionismus, und es gelingt uns immer mehr wie diese coolen Business-Männer auszusehen, die Karriere machen. Wie diese coolen angesagten IT-Girl Fotos zu schießen und zu posten, und unser Freundeskreis ist enorm groß und voller toller Menschen. Die Smartphones haben Menschen perfekt gemacht und sie wehren Männer ab? Was will man mehr. Vielleich ein Iphone, dass die die nach ihm streben vollständig macht?

Autorin / Autor: LadyJanna, 20 Jahre