Das Projekt

Beitrag zum Schreibwettbewerb "Total digital" von Bettina, 65 Jahre

Verflixt juchhe! Das war wieder so eine meiner spontanen Ideen gewesen, aber da musste ich jetzt durch. Bestens gelaunt waren wir vom Karnevalszug heimgekehrt, meine beiden Männer und ich und saßen nun bei Kaffee und Puffeln beisammen, wie es bei uns am Rosenmontag Brauch war.

„Schade, dass der Spaß schon wieder vorbei ist. Und ab übermorgen heißt es wieder „40 Tage ohne“. In Zeiten von Diäten und Veggi-Days verlieren Fastenperioden ihren eigentlichen Sinn. Ruhe und Besinnung erreicht man damit heute wohl kaum noch“ sinnierte mein Mann.
Leicht genervt drückte ich nun schon zum wiederholten Male ein Gespräch weg. Ständig diese Verfügbarkeit.
„Ich hätte schon bedeutend mehr Ruhe, wenn ich dieses Handy los werden könnte. Wenn ich mich nicht genötigt sähe, ständig in Plauderlaune zu sein. Ich weiß jetzt, was ich mache: 40 Tage ohne Handy.“ Da war es raus. Ohne viel zu überlegen, war die Entscheidung gefallen und fühlte sich gut an.

Die Blicke, die mich gleich von zwei Seiten trafen, verhießen nichts Gutes.
„Das solltest du dir noch überlegen. Das kannst du nicht wirklich wollen.“ Der Tonfall meines Mannes gefiel mir gar nicht.
„Doch. Kann ich. Ich werde doch wohl meine eigenen Entscheidungen treffen können.“
„Coole Idee. Aber nicht machbar. Ohne Handy bist du so was wie taubstumm.“ Unser Sohn konnte es nicht fassen, dass man so etwas überhaupt in Erwägung ziehen konnte.
„Keine schnellen Einkaufslisten? Keine Checks von was auch immer? Keine endlosen Klönschnacks mit deinem Heer bester Freundinnen? Du bist jeck, Mutter. Sorry.“
„Es wird viel zu organisieren geben. Aber schließlich habe ich keine Expedition in die Wüste  vor. Die Welt hat zwei Jahrtausende ohne Handys funktioniert und ihr regt euch wegen läppischer 40 Tage auf.“
„Nun werde mal vernünftig. Du triffst hier Entscheidungen, deren Konsequenzen uns alle drei betreffen. Das geht so nicht. Aus einem sozialen Netz klinkt man sich nicht einfach aus. Wie soll ich dich erreichen, wenn es wichtig ist?“ Hörte ich da eine gewisse Schärfe heraus?
„Ich möchte mein Handy in die Schublade legen, sonst nichts. Du, mein lieber Mann, bist im Job auch nicht erreichbar für mich und wir haben immer einen Weg für Absprachen gefunden. Und du, mein lieber Sohn, hast dich oftmals über meine Kontakte beschwert, weil du dich gestört oder gar kontrolliert fühltest. Also lassen wir das doch mal für 40 Tage.“
Ging es hier womöglich gar nicht um  meine Entscheidung als solche, sondern eher um Bequemlichkeit? Darum, dass einer zur Verfügung stand, wenn es mit dem eigenen Zeitplan mal wieder nicht geklappt hatte? Solche Probleme sollten doch zu lösen sein. Mein eigenes Leben ohne Handy zu organisieren, das würde meine Herausforderung werden.
Unsere Standpunkte waren konträr, die Diskussion dauerte. Am Ende einigten wir uns darauf, dass es nicht allein mein Projekt werden sollte, sondern unser gemeinsames, denn es würde zweifellos Auswirkungen auf die ganze Familie haben, wenn die Mutter für 40 Tage auf ihr Handy verzichtete. 

Mit Telefonliste und Kleingeld in der Tasche – private Kommunikation war auf den Firmengeräten tabu – erschien ich am Aschermittwoch im Büro. Schwierig wurde es in der Mittagspause.
„Ach, du hast derzeit kein Handy? Soll ich dir mein Ersatz-Handy leihen?“
Meine Kollegin war bemüht, aber ich fühlte mich unwohl bei ihr am Tisch. Es störte mich plötzlich das „Ach, warte mal. Ich muss da jetzt eben mal rangehen. Sorry, was hattest du noch mal eben gesagt?“ Neben ihr kam ich mir vor, wie ein Raucher auf Entzug. Was gibt man den Händen zu tun, die gewohnt waren, sich in Pausen mit Handy-Aktionen zu beschäftigen? Wo blickt man hin, wenn das gewohnte Ziel, ein Display auf dem Tisch, fehlt? Und fiel es den Leuten eigentlich auf, wenn man nicht angerufen wurde? Wenn ja, welche Schlüsse zogen sie daraus? Merkwürdig, auf welche Gedanken ich kam. Für die weiteren Mittagspausen suchte ich mir Beschäftigungen. Von Einkäufen brachte ich Zeitschriften mit und löste Preisrätsel.

Eines Morgens sprach mich der Pförtner an.
„Sie müssen heute Morgen ja mit den Gedanken ganz woanders gewesen sein. Hier, das hat Ihr Sohn vorbei gebracht.“
Er reichte mir eine meiner Handtaschen. Ich gab mir Mühe, mein Erstaunen nicht allzu deutlich zu zeigen und verschwand mit der Tasche im Waschraum. Ich fand das Handy meines Sohnes und einen Zettel.
„Haben versäumt, das Geld für die Klassenfahrt zu überweisen. Ruf bitte in der Schule an. Überweisung in der Mittagspause. Heute letzter Tag. Danke.“
Kompliment, mein Sohn, diese Idee muss man erst einmal haben.

Eine Woche später kontaktierte mich der Pförtner erneut.
„Es sind Blumen für Sie abgegeben worden.“
Im Waschraum packte ich einen wunderschönen Frühlingsstrauß aus mit einer Glückwunschkarte und einem Abholschein für die Reinigung.
„Sorry. Bitte unbedingt heute noch meine Anzüge aus der Reinigung abholen. Geschäftsreise auf morgen vorverlegt. Danke.“
Wer der Absender war, brauche ich wohl nicht zu erklären. Was für ein netter Einfall, das Problem auf diese Weise zu lösen.

Am letzten Tag unseres gemeinsamen Projekts „40 Tage ohne Mutters Handy“ fand ich auf meinem Schreibtisch ein Päckchen aus der Buchhandlung gegenüber mit einem Kochbuch und natürlich einer Botschaft meiner Männer.
„Wir hatten große Bedenken vor dem Projekt. Aber wir haben die Herausforderung angenommen und gemeistert. Tolles Gefühl. Jetzt haben wir alle eine Belohnung verdient. Such dir ein Rezept aus und besorg die Zutaten. Dann kochen wir zusammen.“
So war auch meine letzte Mittagspause ausgefüllt. Das Dessert hatte ich schon. In einem meiner Preisrätsel hatte ich eine Städtetour für uns Drei gewonnen. Nun mussten wir uns nur noch auf das Ziel einigen. Der Abend konnte kommen.