Schreibaufgabe 1 „Cyberspace“

Beitrag zum Schreibwettbewerb "Total digital" von Lena Loki, 30 Jahre

Fedor Feller drückte auf den Startknopf seines Computers und schaltete den Monitor ein. Seufzend ließ er sich in den Bürostuhl zurückfallen und rieb sich nachdenklich das Kinn. Gebannt starrte er auf den Bildschirm und wartete ungeduldig darauf, bis der Computer hochgefahren war. Endlich hatte er Zeit für sich und er konnte sich in eine Welt flüchten, die er sich selber aufgebaut hatte. Gedankenversunken zog er an seinem abstehenden Ohr und strubbelte durch seine kurzen blonden Haare. Es war echt zum Haare raufen. Warum dauerte es nur so lange, bis der Computer hochgefahren war? Hektisch tippte er sein Passwort ein und meldete sich somit mit seinem Benutzernamen bei Windows an. Wieder hieß es warten. Diesmal musste der Computer Updates runterladen und installieren.

„Verdammte Updates“, knurrte Fedor und tippte unruhig mit dem Finger auf dem Schreibtisch herum. Er war einfach nur erleichtert, dass der Computer funktionierte. Denn er könnte nie im Leben den Rechner reparieren. Fedor hatte gerade mit Ach und Krach den Hauptschulabschluss erreicht. Der Grund, dass er nur zur Hauptschule ging, war aber nicht unbedingt sein Wissen, sondern eher das Umfeld. Er war seit Beginn immer der Außenseiter und wurde oft wegen seiner abstehenden Ohren und seiner großen Brille gemobbt. Außerdem bekam er immer Sätze an den Kopf geschmissen, wie zum Beispiel „Bist du krank, oder was? Gestört, oder so?“ Es schien in der Schule schon aufzufallen, dass Fedor immer nur mit Jungs abhing und so gar nicht über Mädels sprach.

Ich werde mich jetzt erstmal in meinem Forum anmelden. Irgendwann werden die Schüler aus der Schule schon sehen, was sie davon haben, mich zu beleidigen, dachte Fedor und rieb sich die Hände. Kaum hatte sich Fedor im Forum angemeldet, meldete sich sein dickster Freund aus dem Netz. Bastian hatte sofort Verständnis für Fedor und hörte ihm immer zu.

„Na Kumpel, wie geht es dir?“, begrüßte ihn Bastian per Privatnachricht.
„Passt schon“, schrieb Fedor. „Wie geht es dir?“
„Es geht. Am liebsten würde ich Amok laufen“, antwortete Bastian und setzte einen Smiley hinter seinen Text.
„Du sprichst mir aus der Seele“, schrieb Fedor und setzte einen grinsenden Smiley dahinter.

Es ist schon interessant, wie sehr mir Bastian aus der Hand frisst. Ich habe ihn voll im Griff und genau dies ist mein Ziel. Ich lüge hier und verspreche denen das Blaue vom Himmel und die sind so naiv und fallen darauf rein, freute sich Fedor und zündete sich eine Zigarette an.

Endlich hatte er Bastian da, wo er ihn haben wollte. Sein eigentliches Ziel war es aber, dass Bastian abhängig von ihm wurde und nicht mehr ohne ihn konnte. Aber treffen würde er ihn erstmal nicht. Er würde ihn so in den Wahnsinn treiben, dass er sich selber umbringen würde. Andere Kerle sollten so leiden, wie er hatte leiden müssen. Aber er konnte ja nicht ahnen, dass alles anders kommen würde. Das er jemanden kennen lernt und sich seine Ansichten von heute auf Morgen änderten.

„Wie soll ich vorgehen, Chef? Du hast doch bestimmt einen Plan?“, wollte Bastian wissen.
Sehr gut jetzt habe ich ihn wirklich da, wo ich ihn haben will. Ich werde ihm meine blutigen Phantasien schon beibringen. Ich werde ihn animieren, endlich sein Leben zu zerstören, grinste Fedor und zog feste an seiner Zigarette.
„Besorge dir ein Messer und eine Waffe. Es muss ja noch nicht mal eine echte Waffe sein, aber sie sollte so echt wie möglich aussehen. Dein Ziel ist eine Realschule, suche dir die Nachmittagszeit raus, dann sind nicht viele Schüler und Lehrer dort. Bedrohe erst die Schüler, zum Schluss nimmst du eine Lehrerin als Geisel und verletzt sie mit dem Messer. Aber vergiss deine Maske nicht“, forderte Fedor. Zum Schluss schrieb er folgenden Satz: „Ich werde zur gleichen Zeit jemanden umbringen und wir treffen uns später wieder hier im Forum, um uns auszutauschen.“

Einen Moment lang hörte er von Bastian gar nichts. Ungeduldig tippte Fedor mit den Fingern auf dem Schreibtisch rum. Na komm schon, melde dich, verlangte Fedor und starrte gebannt auf den Bildschirm. Schließlich kam eine Nachricht von Bastian. Er schrieb: „Ich kann das nicht. Kannst du das nicht machen?“

Fedor stöhnte auf. Energisch zog er an seiner Zigarette und stieß mit einem Schwung den Qualm wieder aus. Verdammt, bin ich hier echt alleine. Sind denn alle Kerle zu nichts mehr zu gebrauchen, stöhnte Fedor. Jetzt mache ich ihm ein schlechtes Gewissen, wenn er es nicht tut. Ich weiß auch schon, wie.

„Wie, du willst mich echt hängen lassen? Wir sind ein Team. Willst du echt als Schwächling dastehen. Willst du, dass dir immer hinterher gerufen wird: der Bastian ist ein Feigling, der kann gar nichts. Willst du das? Ich dachte du bist ein starker und mutiger Kerl. Wir haben uns doch geschworen, dass wir ewig zusammen halten und nie den anderen enttäuschen. Immer alles geben. Oder etwa nicht?“, schrieb Fedor und grinste in sich hinein.

Er wird jetzt sicher einknicken. Ich weiß es. Er wird mir aus der Hand fressen. Er hat doch sonst niemanden, stellte er fest.

„Hmm … Du hast schon recht. Stimmt. Ich bin kein Feigling. Ich kann viel mehr“, schrieb Bastian und setzte einen wütenden Smiley dahinter.
„Genau so, kenne ich dich. Eben. Du kannst das. Ich glaube an dich. Ich zeige dir hinterher mein blutverschmiertes Messer und du mir deins. Du hast doch eine Cam?“, wollte Fedor wissen.
Ich werde aber eine Maske aufhaben. Mein wahres Gesicht wirst du niemals sehen, lieber Bastian, murmelte Fedor und rieb sich die Hände.

„Klar habe ich eine Cam“, schrieb Bastian.
„Sehr gut. Du, wir brauchen noch einen Namen für unseren Clan. Hast du eine Idee?“, wollte Fedor wissen.
„Teufelsrächer?“, antwortete Bastian und setzte einen zwinkernden Smiley dahinter.
„Ja, sehr gut und unser Logo ist ein Totenkopf“, freute sich Fedor.
„Ich habe immer noch ein wenig Sorge, ob ich das schaffe“, schrieb auf einmal Bastian nach einer Weile.

Mensch, ist der so eine Memme, oder was?, fragte Fedor und schüttelte den Kopf. 
„Willst du dir immer alles gefallen lassen? Du hast doch genug durchgemacht, wie ich auch, oder? Also komm, lass uns endlich aktiv werden. Gemeinsam sind wir stark“, entgegnete Fedor.
„Ja, du hast recht. Ich wurde lang genug wegen meiner Figur fertig gemacht. Inzwischen habe ich ja schon ein wenig abgenommen. Jetzt räche ich mich an der Schule un den Lehrern“, antwortete Bastian und setzte einen lachenden Smiley dahinter.