Grenzerfahrung

Der Tag, an dem es brannte...

Wie betäubt stand ich auf der Straße, sah, wie die vielen Leute aufgeregt umherliefen, ein Kind weinte. Ein Mann legte eine Hand auf meine Schulter, sprach auf mich ein während er, wie die anderen Leute, immer wieder auf das Fenster im 1. Obergeschoß schaute, aus dem grau-schwarzer Rauch quoll und dessen Glasscheibe in diesem Moment zerplatzte. Meine Knie waren ganz weich und ich fühlte mich plötzlich zu schwach, um noch länger zu stehen, deshalb setzte ich mich auf den Gehweg. Das Fenster, aus dem jetzt die Flammen schlugen und an dessen Rahmen gerade der geschmolzene Rolladen hinunterlief, war das Fenster meines Zimmers. Ein Polizist kam und fragte mich nach meinen Eltern, ich bekam kein Wort heraus, aber ich wollte schreien, dass meine Mutter nicht da war und mein Vater noch in der brennenden Wohnung, oder in der benachbarten Wohnung sein musste, die auch uns gehörte, aber ich konnte nicht einmal flüstern. Der Polizist sprach mit den umstehenden Leuten und entfernte sich.

Wie in einem Film

Ich hatte das Gefühl, dass die Zeit stehen geblieben sei, aber anscheinend lief alles um mich herum immer schneller, denn auch die Feuerwehr war schon da und ging nun mit Masken und Schläuchen bewaffnet in unser Haus. Nach kurzer Zeit kamen sie wieder heraus, mit meinem Vater auf dem Arm. Ich sah die Blasen, die sich überall auf seiner Haut gebildet hatten und es sah aus, als sei er ohnmächtig, aber die Sanitäter sagten zu mir, er habe nur leichte Verbrennungen und eine Rauchvergiftung, aber alles halb so schlimm. In diesem Minuten sah ich alles nur so, als ob ich es nicht miterleben würde, wie einen Film. Ich saß außerhalb, schaute den anderen zu, keine Gefühle, in mir alles leer, bis ich merkte, dass mir die Tränen über die Wangen rollten. Und in mir spielte sich noch einmal die Alptraumszene der letzten Minuten ab.

*Ein Backschüssel würde niemals reichen*
Ich stand in der Küche und wollte Crèpes für meine Familie backen, ich rührte gerade, als mein Bruder durch die Tür kam und schrie, dass es brennen würde. Ich dachte an ein kleines Feuer, füllte meine Backschüssel mit Wasser und rannte meinem aufgewühlten Bruder in mein Zimmer nach und da sah ich voller Entsetzen, dass meine Backschüssel gefüllt mit Wasser niemals reichen würde, um dieses riesige Feuer, das sich über die ganze hintere Hälfte meines Zimmers ausgebreitet hatte, zu löschen. Ich rannte sofort zum Telefon, danach stürzte ich aus der Tür. Den beißenden, nebligen Rauch schon überall um mich herum folgte ich noch einem Geistesblitz und versuchte noch, alle anderen Leute aus unserem Haus zu warnen.

*Die helfende Nachbarin*
Ich wurde von einer Nachbarin aus meinen Gedanken gerissen, als sie mich fragte, ob ich und meine Geschwister zu ihr hochkommen wollen, um unsere Mutter anzurufen und um uns zu waschen. Erst jetzt merkte ich, dass meine Hände und mein Gesicht voll Ruß waren, das machte mir in diesem Moment zwar nichts aus, aber ich folgte trotzdem der Nachbarin, auch wenn wir Mama nicht erreichen würden, weil sie kein Handy dabei hatte. Sie war bei meiner Oma am Bodensee, würde aber bald zurückkommen. Eine andere Nachbarin versprach mir sofort, sich um sie zu kümmern, sobald sie kommen sollte. Unsere Nachbarin wohnte direkt gegenüber von uns, und so konnte ich die Löscharbeiten von oben beobachten, während ich erstmal meine beste Freundin anrief und ihr alles unter Tränen, verwirrt und total durcheinander, erzählte. Sie verstand mich sicher kaum, aber sie hörte einfach zu und litt mit mir, das tat in diesem Moment sehr gut.

*Verbranntes Tagebuch*
Als ich wieder am Fenster der Nachbarin stand und auf unser Haus schaute, wurde mir übel. Ich sah, wie die Feuerwehrleute meinen meist vollständig verbrannten, oder nur angebrannten Zimmerinhalt durch das Fenster auf die Straße warfen. Nun, da die Feuerwehr weggefahren war und auch die meisten Schaulustigen weitergegangen waren, stand ich unten auf der Straße und zog Seiten meines Tagebuchs aus dem Schutthaufen, das tat richtig weh. Ich hatte mir immer gewünscht, es später wieder zu lesen und mich an früher zu erinnern, aber jetzt hatte ich gar nichts mehr von „früher“ bzw. „jetzt“, nicht mal mehr Kinderphotos besitze ich jetzt. In Zukunft würde mir täglich irgendeine, wenn auch nur eine ganz kleine Sache einfallen, die verbrannt ist, aber das war mir in diesem Moment glücklicherweise noch nicht ganz bewusst. Weiter sah ich noch ein paar Seiten meines verhassten Mathebuchs und einen halben Ärmel meines Lieblingspullis unter dem schwarzen Vorhangfetzen, der früher mal leuchtend gelb gewesen war. Von meinem Bett war nicht mehr als ein Häufchen Asche übrig geblieben...

Liebe Menschen, die halfen

Da war auch schon meine nächste Sorge, denn von der Feuerwehr hatte ich erfahren, dass es Monate dauern würde, bis wir wieder in unsere Wohnung ziehen könnten, denn alles war entweder ausgebrannt oder verrußt. Wo sollten wir, d.h. meine Mutter, meine Geschwister und ich (mein Vater ist ja im Krankenhaus) denn wohnen? Eine Sozialarbeiterin schlug vor, in eine Sozialwohnung zu ziehen, aber wir entschieden uns dann doch die unbeschädigte 2-Zimmerwohnung zu beziehen, die auch uns gehört und sich im gleichen Haus wie die ausgebrannte Wohnung befand. Meine Familie und ich haben in den nächsten Tagen unbeschreibliche Freundlichkeit von Nachbarn und Freunden erlebt. Menschen, die wir nicht kannten, haben uns Dinge geschenkt und uns rührend unterstützt. So hatte diese schlimme Erfahrung doch auch positive Folgen. Mein Vater hat sich sehr schnell erholt und ist nach dem Krankenhausaufenthalt wieder fit. Ich bin Gott so dankbar, dass bei dem Brand niemand umgekommen ist, denn aller materielle Verlust ist doch irgendwie zu ersetzen, aber Menschenleben nicht. Der Brand ereignete sich im Februar und Ende Mai sind wir jetzt wieder in die Wohnung gezogen, in der sich der Brand ereignet hatte.

*Das normale Leben geht weiter*
Im Nachhinein war dieses ungewollte Erlebnis eine Grenzerfahrung, an die ich nicht gerne zurückdenke. Die Zeit nach dem Brand war schwierig, zu fünft in der kleinen Wohnung zu leben und zu verstehen, dass das normale Leben doch weitergeht und man jetzt nicht einfach fliehen kann. Verarbeitet ist das Geschehene noch lange nicht, aber die schwierigste Zeit ist überstanden.

Autorin / Autor: ismarie - Stand: 28. November 2006