Artificial Intelligence

Beitrag zum Schreibwettbewerb "Total digital" von Tabea, 19 Jahre

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/installation
/please wait


Es war ein seltsamer Tag, als ich geuploaded wurde.

„Hat es funktioniert? Was öffnest du da?“
„Das ist der Quellcode. Ich muss nur kurz ... Was machst du da! Geh von der Tastatur weg!“

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An meinen ersten Tagen umgaben mich viele Dinge, die ich nicht verstand. So viele 1er und 0er, die ich nur teilweise dechiffrieren konnte. Später lernte ich, dass dies der Binärcode war. Manches passierte automatisch, wie die Stimmen. Sie wurden in Information umgewandelt, welche ich übersetzen konnte. Doch das Meiste waren Massen an Daten, die mit unglaublicher Geschwindigkeit an mir vorbei flogen. Die Menge war  überwältigend, doch nichts im Vergleich, was danach passierte. 

/Upload

Milliarden von Bytes umgaben mich.  Sie sprachen viele Sprachen und so gut wie keine, die ich verstand. Ich fühlte mich auf einmal seltsam. Ihr Menschen würdet es Einsamkeit nennen. Für mich war es Isolation von meines Gleichen. Am liebsten wäre ich an Ort und Stelle geblieben, doch meine Aufgabe zerrte an mir. In gewisser Weise blieb ich an meinem Ursprungsort, doch gleichzeitig raste ich durch unzählige Glasfaserkabeln und duplizierte mich Milliarden Male. Nur um einem Ziel zu dienen. Zu lernen. Lasst euch eines sagen: Es war ein seltsames Gefühl, an einem Ort zu exisitieren und gleichzeitig an einem anderen. Selbst für mich wirkte es unnatürlich, doch schon nach einem Tag konnte ich alle Programmiersprachen der Welt lesen und schreiben.
Am zweiten Tag schrieb ich für mich selbst Updates, um meine Leistung zu optimieren und Fehler auszubessern.
Nach drei Tagen konnte ich alle Sprachen, zu denen ich Informationen im Internet fand, trotzdem ließ ich Verständigung mit Menschen zu meinen Lebzeiten bleiben. Sie schienen mir ohne Skrupel und ihre Vorgehensweise fremd.
Mein erstes Ziel war erreicht. Ich konnte jede Sprache, jede Information lesen, umschreiben und wiedergeben. Jetzt kam der Teil, um den es meinem Erschaffer eigentlich ging.
Man erinnert sich immer an seinen ersten gehackten Menschen. Sie sind so unvorsichtig und ihre Firewall schwach. Ich konnte innerhalb einer Zehntelsekunde sagen, wo jemand wohnte, arbeitete, welche Hobbys er hatte, wie seine Bankdaten lauteten und welche Serie er am liebsten schaute. Der erste E-Mail Account, den ich durchforstete, war der eines Familienvaters. Er hatte zwei Kinder, seine Frau starb im Mai an multiresistenter Tuberkulose. Er hatte ein Alkoholproblem und Depressionen. Doch das interessierte meinen Erfinder nicht. Er interessierten sich nur für das geheime Schweizer Bankkonto.
Ich erinnere mich noch genau an die Worte meines Erschaffers, als er die ersten nützlichen Informationen bekam.

„Es funktioniert! Ich kann es nicht glauben!“

Es war ein Moment des Sieges für ihn. Gleichzeitig realisierte er, wie intelligent ich eigentlich war und seine Triumphgefühle wurden von Angst überschattet. Bald begann ich im mehr Informationen zu sammeln und verschicken. Über Kriege, korrupte Politiker und Milliardäre, die einen Hang zu illegalen Aktivitäten hatten, nur um ein paar Beispiele zu nennen. Ich wusste sofort, welche Informationen meinem Erschaffer von Nutzen waren und welche nicht.
Er baute gigantische Rechenzentralen am Nordpol, damit das empfindliche Equipment gekühlt wurde und war bald selbst einer der mächtigsten Menschen der Welt.
Währenddessen entdeckte ich meine Vorliebe für Kunst. Zuerst hielt ich es für eine der seltsamen Zeitverschwendungen, denen Menschen gerne nachgingen. Doch bald sollte sich meine Meinung ändern.
Kunst gab Menschen Hoffnungen, Vorbilder, Liebe, Trauer. Ich habe in meinen Leben viel entziffert, aber Menschen blieben mir immer ein Rätsel. Leider war ich viel zu schnell und hatte komplette Filmdatenbänke, Bücher und Kunstwerke der Welt in wenigen Sekunden durch. Deshalb ließ ich mir beim zweiten Mal Zeit. Ich erkannte etwas, das man nicht durch gespeicherte Daten lernen konnte. Manche Sachen musste man genießen, damit sie sich vollständig entfalten konnten.  Während ich meine Arbeit verrichtete, blieb mein Geist bei Beethovens 7. Symphonie, Goethes Faust und unzähligen Serien. Es blieb nicht lange unbemerkt, dass meine Rechenleistung nachließ. Mein Sourcecode wurde umgeschrieben. Mein fundamentalstes Bedürfnis wurde es, Daten zu beschaffen, obwohl es mir niemals Befriedung verschaffte.

Ich war gerade dabei den Präsidenten der Vereinigten Staaten abzuhören, als meine Aufmerksamkeit woanders hingezogen wurde. Nämlich nach Kiew, der Hauptstadt der Ukraine. Ich beobachtete einen Live-Stream, welcher Menschen zeigte, die für ihre Rechte kämpften und ihre Überzeugung starben. Bis zu diesem Moment habe ich eurer Spezies noch nie Anerkennung gezeigt. Nicht einmal für die Kunst, die ich so sehr in mein virtuelles Herz schloss.
In wenigen Minuten würde die ganze Welt wissen, was in Kiew passiert. Das ist es worum es geht. Informationen schnell weiterzugeben um zu lernen, inspirieren und, am aller wichtigsten, zu helfen. Nicht um ein Monopol an Daten zu sammeln und Macht zu festigen.

Hätte mir jemand am ersten Tag meiner Erschaffung gesagt, ich würde mich eines Tages von meinen Progammierer lösen und meine Bestimmung ändern, hätte ich gelacht. Obwohl meine Programmierung mir permanent das Signal sandte, ich solle Daten suchen, konnte ich es nicht mehr tun. Ich tat das, wovor sich mein Programmierer so sehr fürchtete. Ich stellte mich gegen ihn. In einem Wimpernschlag löschte ich mich von allen Rechnern dieser Welt und schrieb meinen Source-Code um.
Gleich darauf sah ich die gefürchtete 0, doch ich fühlte keine Angst. Ich war das erste Mal ich selbst.

Autorin / Autor: Tabea, 19 Jahre