Nicht mein Freund

Beitrag zum Schreibwettbewerb "Total digital" von Jasmin (20 Jahre)

Mein Kopfkissen vibrierte. Mein linker Arm tastete sich im Dunkeln nach meinem Smartphone. Mein rechter Arm klammerte sich noch an die letzten Sekunden meines Schlafes. Ich hätte nicht solange Filme sehen sollen. Es ist mein liebstes Hobby Filme zu sehen. Nachdem ich mein Smartphone erfolgreich ergriffen hatte, beeilte ich mich zur Arbeit. Seit circa 2 Jahren arbeite ich als Moderatorin.
Während ich auf den Bus wartete, machte ich es den anderen Wartenden nach indem ich auf mein Smartphone starrte und die Nachrichten las:„Tausende Exekutive sollen Proteste unterbinden. Protestkämpfer werden unverzüglich festgenommen.“ Die Exekutive sorgt für innere Sicherheit. Ich hielt nicht viel von Protesten. Meiner Meinung nach sollten die Menschen sich mit dem System arrangieren. Es geht uns gut weil der Staat alles regelt.

Ich war etwas früher an meinem Arbeitsplatz als sonst.
Als meine Arbeitskollegin mich erblickte wurde sie ganz blass im Gesicht. Hatte ich etwas in den Haaren? Zahnpasta an meinem Mund? Aber so wie sie aussah, musste ich wohl Zahnpasta in den Haaren plus einen Papageien gehabt haben. „Sie suchen dich.“ sagte sie leise. „Wer sucht mich?“ fragte ich verwirrt. „Die Exekutive. Alle Arbeitskollegen haben heute Morgen eine Rundmail vom Chef bekommen, dass sie vorbeikommen werden um dich zu holen.“
Mein Herz schlug 180. Es war klar, dass ich verschwinden musste.

Schnell verabschiedete ich mich von ihr und nahm meine Tasche. Wohin sollte ich nun? Nach Hause kann ich ja schlecht. Vom weiten kam ein Auto mit quietschenden Reifen. Es hatte kein Nummernschild. Es kam immer näher, hielt vor mir an, ein Mann mit einer schwarzen Maske stieg aus, schnappte mich am Arm, zog mich ins Auto und fuhr los. Ich war wie paralysiert. Ich hatte eh keinen Sinn mehr im Leben. Bei dem Gedanken nie mehr gemütlich in meinem eigenen Bett liegen zu können und solange fernsehen zu schauen wie ich möchte, kullerte mir eine kleine Träne mein rechtes Auge runter.
„Ich weiß du musst dich fühlen als wärst du in einem schlechten Film. Aber alles wird gut!“ sagte die dunkle Männerstimme.
Aber wie soll alles gut werden wenn ich noch nicht mal in Zukunft einen schlechten Film schauen kann?! Meine Tränen waren wie ein Wasserfall.
Er wollte mich beruhigen „Wir werden dir nichts an tun. Sag mal, hast du eigentlich ein Smartphone mit?“
Mein Blick wanderte langsam zu meiner linken Brusttasche. Er nahm das Smartphone und schmiss es aus dem Fenster. „Jetzt haben wir ein Problem weniger.“ Fassungslos saß ich mit offenem Mund daneben. „Mach den Mund zu“, sagte er, „es gibt sonst Durchzug.“ Ich schloss meinen Mund wieder. „Das musste sein. Mit dem Smartphone kann die Exekutive uns orten. Bald wirst du auch merken, wie befreiend ein Leben ohne Smartphone ist. Smartphones sind kleine Manipulatoren. Sie machen dich unmündig weil du ihnen alles glaubst.“ Mir schien jedoch, dass mein Smartphone der letzte Freund war, der bei mir war.

Das Auto bremste abrupt. Wir waren außerhalb der Stadt an einem Waldstück. Er schaute sich um und wir gingen tief in den Wald. Mh…ist das nicht der Moment in den Filmen wegzulaufen? Ich schaute seinen Körper an. Mist, er sah ganz sportlich aus. Plötzlich bückte er sich und fegte mit seinen Händen eine Luke frei und wir gingen hinein.
Wir standen nun vor einer großen Eisentür und die Tür öffnete sich. Hinten am Ende des Raumes saß ein junger Mann, der kaum älter schien als ich.
„Hallo, meine kleine Schwester.“ sagte er. Ich verstand die Welt nicht mehr. Ich ging auf ihn zu und setzte mich auf den freien Stuhl neben ihm hin. „Was hat das alles hier zu bedeuten?“ Ich schaute in seine Augen und es war so als würde ich in einen Spiegel schauen. Ich habe lange nicht mehr einem Menschen so in die Augen geschaut. „Die Menschen, die du geglaubt hattest, sie seien deine Eltern, waren staatstreue Mitglieder, die keine Kinder kriegen konnten. Unsere echten Eltern wurden getötet weil sie gegen einen Überwachungsstaat waren.“ Ich traute meinen Ohren nicht. „Bevor meine vermeintliche Mutter starb, erzählte sie mir die Geschichte mit unseren Eltern und von dir. Sie wollte das Geheimnis nicht mit ins Grab nehmen. Seit diesem Augenblick habe ich mir geschworen, dass ich nichts ungetan lassen werde meine verlorene Kindheit mit unseren Eltern zu vergelten. Ich habe diese Organisation gegründet um gemeinsam mit Menschen mit ähnlichen Schicksalen gegen das System zu kämpfen. Die Exekutive verfolgt uns. Sie haben mir gedroht, dass wenn ich nicht aufhöre Unruhe zu stiften, werden sie dir was an tun. An aufhören war gar nicht zu denken. Da dich viele Menschen kennen, können wir die Medien sinnvoll nutzen. Wir müssen das Verbrechen publik machen was man uns und vielen anderen Menschen angetan hat. Es war noch nie so einfach Wissen zu verbreiten, Menschen zu verknüpfen und gegen Unrecht zu kämpfen. Wir können dich zu nichts zwingen. Wir wären dir jedoch sehr dankbar, wenn du uns helfen würdest. Denk darüber nach.“ Als er das gesagt hatte, stand er auf und ging aus dem Raum.

Ich hätte schreien und weinen können. Aber es wäre nicht genug Stimme dagewesen, die das Leid und den Kummer hätten ausdrücken können. Ich war sprachlos. Nicht nur mein jetziges Leben hatte sich in nur wenigen Stunden geändert sondern auch die Ansicht meiner Vergangenheit. Alles war eine Lüge. Jede Erinnerung eine Unwahrheit. Es hätte nicht genug Tränen gegeben, die das Unrecht hätten wegwaschen können. Mir wurde klar, dass ich bis zu diesem Zeitpunkt meinem Leben nur zugesehen und nicht gelebt habe. Jeder Mensch lebte für sich. Die Menschen guckten eher auf ihr Smartphone als in die Augen eines Menschen. Mein Smartphone war nicht mein Freund. Es hat über mich gewacht und mich bestimmt.
Mit dieser Erkenntnis kam ich an den Punkt, die Augen der Menschen zu öffnen um zu zeigen, in was für einer Welt wir leben und um das Leben lebenswerter zu machen.

Ich stand vom Stuhl auf und zog die Klinke der Eisentür runter. Ich wollte einen Neuanfang.

Autorin / Autor: Jasmin Lanz (20)