Was ist der Sinn des Lebens?

Einsendung zum Schreibwettbewerb "KörperGEFÜHLE" von Anna, 12 Jahre

Niemand wird das verstehen, ich habe ein Leben, wo andere sagen würden, dass es perfekt ist. Aber das ist es nicht, diese Menschen sehen nur das, was ich nach außen zeige. Sie sehen nur ein glückliches, hübsches Mädchen, welches sich mit ihren Freundinnen kaputtlacht, welches den ganzen Tag über strahlt und jeden anlächelt.
Dann bin ich auch glücklich, glaube ich zumindest. Sobald ich alleine bin, werde ich traurig, ich denke an Dinge, die ich nicht habe und an den Sinn des Lebens.
Ich sehe keinen, was soll man da schon  machen. Vielleicht sollte man Gutes für die Welt tun und für die Menschen, die dort leben, aber was bringt das, wenn deren Leben auch keinen richtigen Sinn macht. Ich glaube, das Leben macht nur Sinn, wenn man ein klares Ziel hat, eine Aufgabe, die es zu erfüllen gilt. Aber welche ist das?
Eine Kaffeemaschine hat zum Beispiel eine Aufgabe in ihrer Existenz, sie macht Kaffee. Oder ein Auto, es muss Menschen durch die Gegend fahren und das macht irgendwie auch Sinn, weil wir es ja brauchen, um von dem einem Ort, zu einem anderen zu gelangen. Die Welt braucht es, damit sie so funktionieren kann. Natürlich wäre eine Welt ohne Menschen auch etwas anderes, aber wir haben keine, uns zugeschriebene Aufgabe, die wir erfüllen müssen. Jetzt bin ich wieder alleine, ich sitze in meinem Zimmer und höre Musik. Ein Liebeslied läuft im Radio, macht Liebe überhaupt einen Sinn? Ohne sie gibt es die Menschheit bestimmt nicht mehr, dann hätten sich alle schon gegenseitig umgebracht. Und vielleicht sollte es die Menschheit auch wirklich nicht geben. Dann müssten mich jedenfalls nicht diese Fragen quälen.
Dann müsste es auch keinen Sinn mehr für die Existenz der Menschen geben. Aber die Menschheit kann ich nicht auslöschen. Da schleicht sich langsam eine Idee in meinen Kopf. Ich gehe in das Badezimmer, dort liegen die Rasierklingen meines Vaters, noch im Waschbecken. Ich muss gar nicht die ganze Menschheit vernichten, es reicht mich selber umzubringen, denn wie soll ich dann noch über so etwas grübeln. Ich öffne den Schrank und hole einen Lippenstift heraus, bis jetzt habe ich niemandem von meinen Problemen erzählt. Doch ich finde, meine Eltern haben es verdient zu wissen, weshalb ich mich getötet habe, denn sonst würde sie die Frage ihr ganzes Leben begleiten und ich weiß, wie schlimm so etwas ist. Ich öffne den Lippenstift, blutrot, das passt ja. Dann schreibe ich mit meiner schönen Handschrift auf den Spiegel: Was für einen Sinn hat das Leben? Ich nehme eine Rasierklinge und setzte mich auf den Boden. Meine Hände zittern ein bisschen, aber ich weiß, es ist das Richtige.
Ich fahre mit dem Finger einmal vorsichtig über die Klinge, sie ist Messerscharf. Ich hole einmal tief Luft, die Klinge kurz vor dem Arm. Ich weiß, dass jetzt der richtige Moment zum Aufhören ist, aber ich höre nicht auf. Die Klinge schneidet gut durch das weiche Fleisch, dann ein kleiner Wiederstand, meine Pulsader, aber dann ist auch die durchgeschnitten. Von diesen Einzelheiten merke ich aber gar nichts mehr, der riesige Schmerz ist zu groß. Aber trotzdem kann ich noch denken, leider stirbt man nicht augenblicklich, ich merke aber schon, wie ich schwächer werde. Hinlegen wäre jetzt gut, denke ich und tue es auch. Ich weiß, dass ich zum letzten Mal den Boden unter mir  spüre und rieche und schmecke und zum letzten Mal unser Badezimmer sehe. Es fühlt sich falsch an zu sterben, und ich weiß plötzlich, was der Sinn meines Lebens ist und der ist ganz einfach, ich soll leben, glücklich sein, mit Freunden, mit Familie und ich soll wie die anderen Menschen Dinge erfinden, sowie zum Beispiel die Kaffeemaschine. Jetzt habe ich meine persönliche Antwort auf meine Frage, aber ich habe es vermasselt. Hier liege ich und sterbe unter höllischen Schmerzen.
Mein Überlebensinstinkt flammt auf, ich probiere mit dem unverletzten Arm mein Handy aus der Hosentasche zu holen. Wenn der Krankenwagen schnell kommt, kann er mich vielleicht retten. Ich schaffe es sogar noch die Nummer zu wählen. Nur das Sprechen will einfach nicht mehr funktionieren, mein Arm sinkt auf den Boden, die Augen fallen mir halb zu. Mein Herz schlägt immer langsamer und mein letzter Gedanke: Ich freue mich gar nicht darüber, den Sinn des Lebens erfasst zu haben, nicht für diesen Preis.
Als der Notdienst rangeht, hört er nur noch meine letzten Atemzüge, dann gar nichts mehr…

Autorin / Autor: Anna, 12 Jahre