Never give up

Einsendung zum Schreibwettbewerb "KörperGEFÜHLE" von Amber (14 J.), Kerstin (14 J.), Merielies (15 J.), Meike (14 J.)

Ich hasse meinen Körper. Sarah steht in ihrem Zimmer vor dem großen Spiegel. Wieso bin ich nur so dick? Sie denkt an die Schule. Heute hat Tom gelacht, als sie ins Klassenzimmer kam. Ihre Freundinnen haben gesagt, dass er nicht über sie gelacht hat, aber Sarah ist sich da nicht so sicher. Je länger sie sich im Spiegel anguckt, desto mehr Makel entdeckt sie an sich.
Sie hört die Haustür. Ihre Mutter kommt mit den beiden Zwillingen nach Hause. Heute hat ihre Mutter die beiden von der Tagesmutter abgeholt, oft muss das Sarah machen. Ihre Mutter hat einfach zu viel zu tun. Sarah wischt sich schnell die Tränen weg, geht in die Küche und beginnt den Tisch zu decken. Man hört Lukas schon vor der Tür schreien: „Leon! Gib mir mein Auto wieder! Mama, er soll es mir wieder geben!“.  Ihre Mutter reagiert genervt, sie kommt in die Küche und legte die Einkäufe auf den Tisch: „Danke Sari, was würde ich nur ohne dich machen!“. Sarah hilft den Zwillingen beim Ausziehen und schickt sie spielen. Hausaufgaben machen sie immer bei der Tagesmutter, die sich immer über die Hausaufgabenmenge schon in der ersten Klasse aufregt.

Sarah geht in ihr Zimmer, schließt sich ein und schaut sich um. Sie sieht ihre Vergangenheit, als sie noch glücklich war und zufrieden. Sie ist jetzt genau 14. Vor einem Jahr war sie noch nicht so dick. Ihre Freundinnen sagen immer, sie sei so hübsch und dünn. Aber Sarah denkt darüber ganz anders. Das Einzige, was sie noch an sich mag, sind ihre blauen Augen. Die kann ihr keiner nehmen. Sie beschließt abzunehmen. Ihre Mutter ruft zum Essen. Sarah kommt nicht, sie ruft zurück: „Hab schon was gegessen!“, dabei stimmt das gar nicht. In der Schule soll sie sich immer was beim Bäcker kaufen. Das Geld will sie in Zukunft lieber sparen. Ein Apfel reicht ja auch. Sie beschließt, das Licht auszumachen, dann sieht sie sich wenigstens nicht mehr. Doch wie jede Nacht kann sie nicht schlafen. Es ist stockdunkel und kalt, sie fühlt sich alleine und einsam. Eigentlich findet sie ihren Plan zum Abnehmen ziemlich gut, doch sie ist immer noch nicht ganz zufrieden. Da passiert es wieder… Sie hat es bestimmt schon 100male gemacht. Mal stärker und tiefer, mal nur ganz leicht. Sie versucht, es vor den anderen immer zu verstecken. Letztens hat es jemand gesehen, doch sie dachte sich einfach eine Ausrede aus, wie: „Ehm, ich hab mich nur gestern am Papier geschnitten“ und versuchte möglichst glaubwürdig rüber zukommen, was ihr auch gelang. Sie kann es einfach nicht lassen. Es wird wie eine Sucht für sie. Klar tat es ihr höllisch weh, wenn das Blut herausgetropft kam, oder sie die Wunde immer wieder aufkratzte. Doch der Schmerz war nicht so groß wie der, den sie mit sich trug. Sie fühlt sich verstanden und für einen kurzen Moment befreit. Mit jedem Schnitt wird es ein bisschen besser, doch auf der anderen Seite fragt sie sich, wie viele Schnitte es noch sein müssen, damit der Schmerz für immer weg ist… Dann schläft sie endlich ein.

Am nächsten Morgen weckt sie ihr Wecker, wie immer um 6.30 Uhr -viel zu früh - sie weiß, dass sie aufstehen muss, doch je mehr sie über den Tag nachdenkt, desto geringer wird ihre Lust aufzustehen. Sie hat keine Lust auf das alles. Ja,… auf alles, auf den Blick in den Spiegel im Bad, auf die Blicke jeder einzelnen Person und erst Recht nicht auf die Schule. Sie war zwar nicht schlecht in der Schule, aber auch nicht besonders gut, normal eben „durchschnittlich“. Wenn sie mal eine richtig gute Note schreibt, vermasselt sie alles mit ihrer mündlichen Note. Sie meldet sich eigentlich nie, da sie Angst davor hat, etwas Falsches zu sagen, und dann ausgelacht wird.

Als ihr Wecker das 2. Mal klingelte, schreckte sie aus ihren Überlegungen hoch, sie war wohl etwas zu lang mit ihren Gedanken bei ihren Problemen. Sie rollte sich genervt aus ihrem Bett und ging ins Bad, achtete jedoch immer darauf, nicht einen Blick zu viel in den Spiegel zu werfen. Da es schon spät war, ging sie direkt zur Schule, ohne noch vorher etwas zu sich zu nehmen. Als sie ins Klassenzimmer kam, kamen ihre Freundinnen schon auf sie zugestürmt und sie hatte keine Zeit mehr, sich weiter in Gedanken mit ihren Problemen zu befassen. Sie verstand zunächst kein Wort, doch nachdem ihre Freundinnen sich langsam beruhigt hatten, erfuhr sie, dass sie einen Neuen in der Klasse hatten. Sie drehte sich suchend in der Klasse um, um das ihr noch unbekannte Gesicht zu sehen. In dem Moment drehte einer der Jungs sich um und sah sie lächelnd an, schüchtern lächelte sie zurück und drehte sich wieder zu ihren Freundinnen. „Er hat dir zugelächelt!“, „Omg, der Neue, Hotte hat dich angelächelt!“. Sarah schaute die anderen mit ausdruckslosen Augen an. Er hatte sie wahrscheinlich eh nur angeschaut, um sich über sie lustig zu machen, weshalb sonst sollte der Neue sie anlächeln, garantiert nicht, um nett zu sein… bei ihrem Aussehen. „Sarah?“, die Lehrerin sah sie fragend an und sie bemerkte, dass alle schon längst auf ihren Plätzen saßen, außer sie. Mit hochrotem Kopf setzte sie sich auf ihren Platz, jedoch nicht, ohne zu bemerken, dass der Junge sie schon wieder beobachtete.

Als die Schule endlich fertig war, verabschiedete Sarah sich von ihren Freundinnen und lief zum Bus. Plötzlich hörte sie, wie jemand ihren Namen rief, und sie am Arm festhielt. Als sie sich erschrocken umdrehte, sah sie, wer sie festhielt. Es war der Neue, Tim. Doch er schaute sie nicht an, sondern auf ihren Arm. Sie folgte seinem Blick und sah erschrocken, dass noch die Wunden von den Einschnitten vom Messer zu sehen waren. Entsetzt sah er sie an und sie zog schnell ihren Arm weg. „Das, ehm, ist weil, ehm, ich mich am Papier geschnitten hab…“. Schon wieder die gleiche dumme Ausrede wie damals, doch ihr fiel keine bessere ein. „Was wolltest du?“. Tim antwortete jedoch immer noch mit einem verwirrten und besorgten Gesichtsausdruck: „Ehm, ich wollte fragen ob wir zusammen fahren können, ich wohne in der gleichen Straße wie du, glaub ich. „Häh, woher willst du das wissen?“, fragte Sarah. „Naja ich hab heute die Klassenliste bekommen, ist alles okay bei dir?“ und sein Blick viel wieder auf meinen Arm, der jetzt jedoch von der Jacke bedeckt war. „Ich .. achso klar können wir zusammen fahren und, ehm, ja alles okay“. Sarah setze ein nicht sehr überzeugendes Lächeln auf und Tim nickte nur und sie liefen gemeinsam Richtung Bushaltestelle.

Zu Hause angekommen, ging sie direkt in ihr Zimmer, mit der Ausrede bereits in der Schule gegessen zu haben. Sie schmiss sich auf ihr Bett. Sie hatte mit Tim Nummern getauscht, er war wirklich nett. Nicht so arrogant wie die anderen aus der Klasse. Vielleicht mochte er sie ja auch? Nein, das konnte nicht sein… Sie warf einen kurzen Blick in den Spiegel und bereute es schon sofort. Heulend brach sie zusammen. Nein, niemand, besonders kein Junge konnte sie mögen. Schon allein wie fett sie war und in der Schule war sie auch nicht die Beste. Es gab also absolut nichts, was sie liebenswert machen könnte. Sie stand auf und lief zu ihrer Schublade, in der das Messer lag, gut versteckt vor ihrer Mutter. Sie stellte sich vor den Spiegel und für jeden Makel, den sie an sich entdeckte, fügte sie sich einen weiteren Schnitt zu. Das Blut begann auf den Boden zu tropfen, doch sie spürte, wie jedes Mal eine Erleichterung sie überfiel, wenn sie sich Schmerzen zufügte. Plötzlich klopfte es an der Tür und sie hörte die Stimme ihrer Mutter: "Besuch für dich“. Hatte es geklingelt? Panisch versuchte Sarah alle Anzeichen für ihre Probleme zu verstecken, doch schon ging die Tür auf und ein lächelnder Tim stand in der Tür. Er begann zu sprechen, verstummte jedoch, als sein Blick vom blutigen Boden zu ihrem Arm ging. „Was machst du denn hier?“, fragte sie so normal wie möglich, was nicht besonders gut rüberkam, da ihr Arm aussah, als hätte sie jemanden umgebracht. Na ja sie war ja auch kurz davor gewesen, wenn nicht… „Ich, ich wollte fragen, ob ich mir ein paar Schulbücher für die Hausaufgaben ausleihen könnte, ich hab meine noch nicht“, unterbrach Tim ihre Gedanken. „Aber jetzt ist, glaube ich, etwas anderes viel wichtiger… Ich weiß wir kennen uns eigentlich so gut wie gar nicht und ich weiß nichts über dich, aber ich sehe, dass es dir eindeutig nicht gut geht, kann ich dir irgendwie helfen?“, fragte Tim Sarah mit einem besorgtem Blick. „M-mir kann niemand helfen…“, begann Sarah, hörte jedoch auf, als sie spürte, wie ihr die Tränen die Wangen runterliefen. Wie sah sie nur grade aus? Noch mehr Tränen liefen ihr bei der Vorstellung, wie sie gerade mit blutverschmierten Händen und einem verheulten Gesicht in ihrem scheiß Körper aussah. Sie hätte verstanden, wenn Tim einfach wieder gegangen wäre, er kannte sie ja nicht mal, doch mit seiner Reaktion hätte sie nicht gerechnet. Er kam einfach auf sie zu, nahm ihr das Messer aus der Hand und umarmte sie. Es tat gut, mal wieder in den Arm genommen zu werden. Schon ewig hatte das niemand mehr gemacht, doch sie spürte erst jetzt, wie sehr sie das eigentlich vermisst hatte.

Nach einer halben Ewigkeit löste sich Sarah aus der Umarmung. Noch immer liefen ihr Tränen übers Gesicht. Tim wischte sie vorsichtig weg und nahm ihre Hand. Er sagte ihr, sie sollte ihm das Bad zeigen. Als sie ihn hingeführt hatte, schloss er die Tür ab und ging zum Verbandskasten. Er klebte ein Pflaster auf ihre frische Wunde und sie wusch sich das Gesicht. Als sie wieder vom Waschbecken aufblickte, fiel ihr Blick auf den Spiegel. Erschrocken guckte sie schnell weg. Erst guckte er irritiert. Aber dann nahm er wieder ihre Hand und fragte: „Sarah, wieso hast du grade so schnell weggeguckt? Was ist überhaupt los mit dir?“. Sie wusste nicht, was sie sagen soll. Tim war so nett zu ihr und hatte sich total lieb um sie gekümmert, doch sie hatte noch nicht mal ihrer besten Freundin Emily davon erzählt und die kannte sie schon seit dem Kindergarten. Tim kannte sie grad mal ein paar Stunden. Doch in ihrer Verzweiflung fing sie wieder an zu weinen und langsam zu erzählen.

Als sie fertig erzählt hatte, guckte Tim sie erstaunt an. Er strich ihr eine Haarsträhne, die ihr ins Gesicht gefallen war, aus dem Gesicht. Dann sagte er langsam: „Aber Sarah. Ich versteh es einfach nicht. Du bist so ein hübsches Mädchen und kein bisschen dick. Heute in der Schule hat dich doch gar keiner ausgelacht. Ich dich auch nicht. Sorry, falls ich dich heute so angestarrt hab, aber, ehm…ich... also, du bist mir gleich aufgefallen, als ich mich umgedreht hab. Ich finde, du bist das hübscheste und netteste Mädchen aus der Klasse. Du solltest dein Leben nicht kaputt machen, indem du dich ritzt.“ Sarah war sprachlos. Hatte Tim ihr grade ernsthaft Komplimente gemacht? Sie wurde rot. Tim lächelte sie an und sagte: ,,Wollen wir in den Park gehen. Ich hab gehört, dass da voll die coole Skaterbahn ist, du könntest sie mir ja mal zeigen.“ Sarah antwortete: ,,Ja, mach ich gerne mal, aber irgendwie will ich jetzt nicht raus. Ich seh so verheult aus und ich bin müde.“ ,,Okey, gut! Wie wärs mit Samstag um 15 Uhr?“, meinte Tim. Sarah stimmte zu und brachte Tim zu Tür. Er umarmte sie zum Abschluss und flüsterte ihr ins Ohr: ,,Sarah versprich mir, dass du dich nicht ritzt wenn ich geh. Bitte tu es nie wieder.“ Sarah nickte und die Tür fiel ins Schloss. Sie ging wieder in ihr Zimmer setzte sich aufs Bett und dachte über Tim nach. Nach circa fünf Minuten wurde sie vom Nachrichtenton von ihrem Handy gestört. Sie hatte eine neue Nachricht auf Whatsapp. Von Tim. In der standen nur drei Worte: ,,Ich liebe dich!“ Sarah konnte nicht anders, sie musste lächeln. War sie etwa auch verliebt? Tim kam ihr so vertraut vor, als ob sie ihn schon Jahre kennen würde. Als sie zurück schrieb: ,,Ich dich auch!“, zitterten ihre Hände. Tim schrieb, dass sie sich nie wieder ritzen sollte und dass sie das hübscheste Mädchen ist, das er kennt. Sarah versprach, sich nie wieder zu ritzen. Sie war vielleicht nicht perfekt und nicht die Beste und auch nicht die Hübscheste, selbst wenn dass Tim sagte, aber sie wurde geliebt. Glücklich beschloss sie, mit dem Abnehmen aufzuhören und nur vielleicht gesünder zu essen. Sie wollte mal wieder was mit Freunden unternehmen und natürlich mit Tim. Ihrem Freund. Ihre Mutter kam rein und setze sich zu ihr aufs Bett. Sie fragte, wer denn dieser Junge war. Lange nicht mehr hatte Sarah ohne die Anwesenheit von den Zwillingen mit ihrer Mutter gesprochen. Nach kurzem Zögern sagte Sarah: ,,Mein Freund.“ Ihre Mutter guckte Sarah überrascht und glücklich an. Sie umarmte Sarah und sagte: ,, Mensch Sari Maus, dass freut mich so für dich! Ich hatte in letzter Zeit echt keine Zeit für dich, deswegen hab ich beschlossen, in den nächsten Ferien mit euch ans Meer zu fahren und ich arbeite nur noch alle zwei Tage ganztags.“ Sarah freute sich total darüber. ,,Sari, willst du mit mir einen Film schauen? Die Zwillinge übernachten bei ihren Freunden!“ Sarah antwortete: ,,Nachher gerne, Mum. Jetzt muss ich aber erstmal mit Emily telefonieren. Ich muss ihr viel erzählen. Das bin ich ihr schuldig.“

Autorin / Autor: Amber (14 J.), Kerstin (14 J.), Merielies (15 J.), Meike (14 J.),