Wunderschön

Einsendung zum Schreibwettbewerb "KörperGEFÜHLE" von Ricarda, 21 Jahre

Es war dieser Moment, der Fee Tränen in die Augen schießen lies: Sie hatte zwei Kilo zugenommen! ZWEI KILO!! Sie versuchte die Tränen zurück zu halten. Nicht zu weinen. „Fee, ist alles okay bei dir?“. Ihre Mama streckte den Kopf zur Tür hinein. „Mama, hau ab, ich will alleine sein und du verstehst das sowieso nicht!!“, schrie Fee und knallte die Tür zu. Dann brach sie in Tränen aus. "Jetzt habe ich wieder zugenommen, ich werde immer fetter und fetter", dachte Fee traurig. "Erst die Pickel, dann nehme ich wieder zu... mein Po ist ja so dick wie die ganze Welt!", dachte sie trotzig und wütend auf sich selbst. "Und Kevin, der verlässt mich jetzt auch wieder". Sie war mit sich und der Welt absolut unzufrieden.. und wenn sie schon so dachte, dachte er bestimmt auch so!
Fee und Kevin waren gerade frisch zusammen und eigentlich glücklich verliebt, aber er hatte ein Problem damit, dass sie etwas pummelig war. „Nimm doch mal ab, du bist viel zu dick!“, sagte er ihr immer wieder. Und Fee versuchte es ja auch! Sie aß nur noch ganz kleine Mahlzeiten und möglichst kein Fleisch und keine Kohlenhydrate... In der Pause zum Beispiel aß sie einen halben Apfel und biss einmal von ihrem Schulbrot ab. Es war ihr egal, dass ihr schwindelig und sie krank wurde. Hauptsache sie nahm endlich ab! Niemand will schließlich mit einem dicken Walross zusammen sein! Fee würgte. Hoffentlich blieb das Essen jetzt mal drin! Heute gab es nämlich Pizza.. und ihr Körper wollte so was fettiges einfach nicht mehr haben. Fett war ja sowieso ungesund für sie, dachte sie trotzig.
Dann kann ja am besten alles raus. Sie übergab sich geräuschvoll. „FEE!“, hörte sie auf einmal ihre Mutter rufen. „Mach sofort die Tür auf!“
Sie fing an zu weinen. Ihr war so schwindelig, dass sie auf allen Vieren von der Toilettenschüssel zur Tür kroch und sie mit Mühe aufschloss. Dann wurde alles dunkel um sie.

„Hallo, Fee, hörst du mich?“, hörte Fee aus dem Off jemanden sagen. Die Stimme kam ihr bekannt vor. Sehr bekannt. Es war Kevin. Sie zwang, sich die Augen nicht aufzumachen.
Er würde ihr doch sowieso wieder nur Vorwürfe machen. Ihr sagen, dass sie dick sei. „Fee, bitte sag doch was!“ Kevins Stimme klang flehend. „MANN! Fee, bitte!“ Sie spürte eine Hand an ihrem Gesicht.
In dem Moment mischte sich eine andere Stimme ein. „Kevin, hör auf, du hast ihr schon genug angetan!“ Mama!, dachte Fee und öffnete die Augen. „Endlich! Fee, Schatz, ist alles okay? Was machst du denn für Sachen!“, hörte sie ihre Mutter leise schimpfen. Fee zuckte zusammen und merkte, wie die Tränen kamen. „Fee, nein, es ist alles okay! Ich habe mir einfach nur so Sorgen um dich gemacht!“, hörte sie ihre Mutter leise sagen und spürte, wie ihr jemand die Haare aus dem Gesicht strich. „Kevin, ich will, dass du jetzt gehst!!“, hörte sie ihre Mutter auf einmal wieder lauter sagen. „Sie will nur wegen dir so zwanghaft abnehmen!“
„Aber... aber warum denn? Ich finde sie doch so wunderschön wie sie ist! Ich kenne niemanden mit so einem Lachen.. wie die Sonne! Und ihre Augen leuchten wie.. wie.. ach da gibt es nichts, was so leuchtet!“, verteidigte sich Kevin.
Fee horchte auf. „Aber du hast doch gesagt, dass ich zu dick bin... Dass ich abnehmen soll.“, flüsterte sie leise und fing an zu weinen.
„O Gott, nein! So habe ich das doch nie gemeint!“, stammelte Kevin und nahm sie in die Arme. „Ich liebe dich doch! Klar, du bist etwas pummelig... aber das ist auch wunderschön! Wenn du lachst, ist es, als würde die Sonne aufgehen! Deine Augen.. so wunderschöne Augen habe ich noch nie gesehen! Und deine Haare sind so weich und duften... Ich liebe es, dich im Arm zu halten und dich zu küssen! Und ich wollte nie dass du wegen mir abnimmst oder anfängst dich zu übergeben. Das wollte ich doch nie!“. Kevin hatte Tränen in den Augen und drückte Fee näher an sich.
Fee überlegte. Sie war sich unsicher und wusste nicht, ob sie ihm glauben sollte. „Aber warum sagst du denn so was dann?“, fragte sie ihn mit fester werdender Stimme. „Warum sagst du, dass ich zu dick bin?? Wenn du mich doch so toll finden würdest, wie ich BIN, hättest du so etwas nicht gesagt!!“. Kevin sah sie an. „Ja.. du hast ja Recht! Aber ich habe gar nicht gemerkt, was ich dir damit antue. Bitte Fee... ich wollte dir doch nicht weh tun!“
„Das mag ja sein... aber du hast mir damit sehr wehgetan. Ich möchte jetzt einfach nur meine Ruhe.. Okay? Bitte geht einfach.“ Sie deutete Richtung Tür.
Kevin stand auf, sah sie an und zuckte mit den Schultern. „Es tut mir trotzdem sehr leid, ich wollte nie, dass du krank wirst.“ Dann drehte er sich um und ging.

Als sie wieder wach wurde, saß ihre Mama neben ihr und unterhielt sich mit einer Ärztin.
„Fee, da bist du ja wieder.“, begrüßte sie die Ärztin lächelnd und reichte ihr die Hand. Fee ergriff sie und lächelte zurück - das Lächeln von ihr war sehr ansteckend und sie musste noch mehr lachen.

Als Fee drei Wochen später aus dem Krankenhaus kam, hatte Kevin bereits eine neue Freundin. Eine dünne, neue Freundin.
Aber das war ihr egal. Fee war dabei zu lernen, dass sie wunderschön ist, genau wie jeder andere Mensch auch. Sie bekam Hilfe in einer Selbsthilfegruppe.
Mit Fee waren da noch Nils, Katja, Jette und Falk.
„Ich finde deine Haare schön“, sagte Katja zu ihr und lächelte Fee an. „Und ich mag deine Augenfarbe“, erwiderte Fee und lächelte zurück. Diese Übung nannte sich „warme Dusche“. Jeder in der Gruppe bekam schöne Sachen über sich zu hören, ob es die weichen Haare, das ansteckende Lachen oder die freundliche Art waren. Jeder war für den anderen da und sie unterstützen sich gegenseitig. Zusammen unternahmen sie auch viel und machten regelmäßig Sport und eine Ernährungsberatung, um trotzdem gesund zu bleiben.

Nach jedem Treffen hatte Fee immer mehr das Gefühl, dass sie so toll war wie sie war. Klar, sie war nicht perfekt! Aber das musste sie ja auch gar nicht sein! Sie grinste sich in der Schaufensterscheibe eines Eisladens an. Die Sonne strahlte auf ihren Kopf herab und ließ sie wie einen Engel aussehen.
„Hey, mein Engel!“, hörte sie auf einmal eine freundliche Stimme. Sie sah sich um und erblickte Falk, der sie anlachte. „Hast du Lust, ein Eis mit mir essen zu gehen?“
Fee lachte und ergriff Falk´s Hand. „Das haben wir uns nach dem ganzen Sport auch verdient!“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn.
„Wofür war das denn?“, Falk sah sie verblüfft an. „Weil du mich so lieb hast wie ich bin, Kilo hin, Kilo her.“, erwiderte Fee und lächelte.

Autorin / Autor: Ricarda, 21 Jahre