Nichts, was man schon gesehen hat

Einsendung zum Schreibwettbewerb "KörperGEFÜHLE" von Marina, 25 Jahre

„Nichts, was man nicht schon gesehen hat.“

                        „Wir sind doch hier unter uns.“

„Stell dich nicht so an, es guckt dir schon niemand etwas weg.“

                            „Wir sehen doch alle gleich aus.“

Immer, wenn sie sich weigerte, sich in einer Gruppenumkleide umzuziehen oder lieber auf eine freie Kabine wartete, statt die Gruppendusche zu benutzen, erntete sie spöttische Kommentare. Sowohl von Klassenkameradinnen als auch von älteren Frauen. Vor allem von älteren Frauen, die sie ansprachen, obwohl sie sie nicht kannten. Sie hatten scheinbar kein Problem damit, nach dem Schwimmen ihre faltigen und imperfekten Körper den Blicken anderer auszusetzen. In deren Augen sollte sie eigentlich kein Problem haben, gleiches mit ihrem jugendlichen Körper zu tun.

Sie wusste das und dennoch wartete sie geduldig auf freie Einzelkabinen, denn trotz der immer gleichen Sprüche, konnte sie den Sinn in ihnen nicht erkennen.

Schon gesehen? Unter uns? Weggucken? Alle gleich? Wohl kaum.

Nie sind wir verschiedener und einzigartiger, nie privater, nichts ist so unser eigenes wie der eigene Körper. Nichts ist so schwer zu beeinflussen, zu akzeptieren und so anziehend bei anderen… die Bewegungen, der Geruch, die Proportionen.

Der Körper, das ist das Selbst, trotz aller Eigenschaften, Gewohnheiten und Verhaltensweisen. Sie alle wohnen doch letztlich im Körper und ohne ihn sind sie nichts wert. Ohne Äußeres auch keine inneren Werte. Vielleicht schienen deshalb manche den nackten Körper als bloße Hülle herabzusetzen, die doch bei allen gleich sei.

Nein, diese Hülle ist nicht bei allen gleich und sie mochte ihre eigene Hülle nicht besonders. Sie hasste sie nicht stark genug, um etwas zu verändern, aber sie mochte sie auch nicht, also ignorierte sie sie einfach. Sie zog sich schnell um, sah selten in den Spiegel und ging nicht tanzen. So ließ es sich ganz gut aushalten.

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Es war einer jener Abende, an denen sie eben nicht ausging. Sie lag einfach auf dem Bett und schaute Fernsehen. Sie war zufrieden so. Das Schöne am Fernsehen im Bett ist außerdem, dass man sich bettfertig umziehen kann, ohne dabei das Bett erst verlassen zu müssen.

Sie wollte sich eigentlich nur umziehen, aber auf halben Weg dahin machte sie ohne jeden Anlass Pause. Es war jener vollkommen willkürliche Moment, in dem sie alle Selbstzweifel vergaß. Sie fand sich auf einmal spannend. Sie fand sich schön, strich neugierig über ihre eigene Haut. Zum ersten Mal fühlte sie sich nackt wohl und genoss es einfach so dazuliegen. Sie sah sich die Menschen im Fernsehen an, wie sie Voyeure ihres Exhibitionismus waren und gleichzeitig blind. Der Moment war voll subtiler Erregung, aber sie fasste sich nicht an oder dachte auch nur darüber nach. Sie lag einfach so da, erregt von dem Moment, dem Gefühl und ihr selbst.

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Es lag etwas seltsam Tröstliches daran, sich in einem überfüllten Raum durch die Menge zu pressen. Man ist fremden Menschen körperlich so nahe wie man es eigentlich nicht sein möchte und es ist unangenehm, beinahe beängstigend, so in der Masse zu schwimmen und nahezu darin zu ertrinken, wenn geschubst und gerempelt wird. Aber andererseits war es auch schön, so viel Körperkontakt zu haben und anderen so nahe zu sein, ohne darum bitten oder werben zu müssen. Man ist sich einfach nahe, weil man Mensch und nun einmal am selben Ort ist.

„Wir sind hier unter uns. Nichts, was man schon gesehen hat.“

Autorin / Autor: Marina, 25 Jahre