Mit verschleiertem Blick und dem Wunsch anders zu sein

Einsendung zum Schreibwettbewerb "KörperGEFÜHLE" von Ellen, 16 Jahre

Ich sehe das Mädchen vor mir. Sie ist schön, aber nicht so schön, wie sie gerne sein würde. Durchschnittlich. Kaum beachtet von anderen. Naja, das denkt sie.
Sie fährt sich durch ihr seidenglattes Haar. Golden fließt es ihr durch die Hände. Gold ist kostbar, denkt sie. Bin ich das auch? Etwas in ihr schreit zustimmend, doch sie glaubt es nicht. Hatte noch nie das geglaubt, an das sie glauben wollte. Glaubte immer nur das, was andere ihr sagten. Egal, ob gut oder schlecht. Ganz egal. Sie wischte die leise Stimme, die da verzweifelt „Ja!“ schrie, einfach weg. Nein, natürlich nicht. Kostbar waren immer nur die anderen gewesen. Sie war eben nur durchschnittlich. Bronze vielleicht... Nein, halt! Eher so wie Glas. Ja, Glas! Durchsichtig. Reichlich überall zu finden. Sie fährt mit ihren Fingerspitzen über den Spiegel. Die Kälte, die von ihm ausgeht, kribbelt ihr sanft auf der Haut. Glas. So rein und doch so kalt und durchschaubar. Ich mag Glas, denkt sie, doch gleichzeitig auch, Holz zu sein wäre doch viel schöner... Nicht so kalt, mit eigener Maserung. Individuell. Besonders. Dann kommt da dieser Gedanke: Was wenn jeder Mensch wirklich aus verschiedenem Holz gemacht ist? Holz, das teilweise vernarbt und immer verschieden ist. Holz, das am Anfang noch glatt ist wie bei einem Kind, dann reift, altert, seine Farbe verändert - manchmal künstlich, so manche Dellen und Risse bekommt, die später, wenn man sie gewöhnt ist, niemanden mehr auffallen und Erfahrungen. Erfahrungen, die das Holz formen... Sie lächelt. Vielleicht ist sie ja doch nicht so durchschnittlich. Doch nicht so glatt. Doch nicht so das, was die anderen sind, nicht wie sie denken. Denn Erfahrungen habe ich viele, denkt sie. So viele. Mit der Hand fährt sie langsam über ihr knochiges Schlüsselbein, den Hals entlang zu ihrem Gesicht. Über eine kleine Narbe. Weiter. Das bin ich, wird ihr klar. Nicht nur außen, auch da drinnen. Da drinnen liegt das Wichtigste von mir. Meine Seele. Ihre Lippen sind schmal und blass von der Zeit, in der sie sich nur selber schadete, doch etwas umspielt sie nun. Ein warmes Lächeln. Schön, denkt sie. Schön von innen. Wunderschön.

Autorin / Autor: Ellen, 16 Jahre