Ganz normal

Einsendung zum Schreibwettbewerb "KörperGEFÜHLE" von Anna, 16 Jahre

Sechs Uhr morgens. Mein Wecker hat vor einigen Minuten geklingelt, nun stehe ich vor dem Badezimmerspiegel und starre in mein verschlafenes Gesicht.
Anders wie die meisten Mädchen in meinem Alter bin ich mit meinem Körper ganz zufrieden, etwas größer könnte ich zwar sein, aber das wird schon noch.
Während ich mich dusche und anziehe gehe ich in Gedanken den bevorstehenden Tag durch. Neun Schulstunden und ein Physiktest stehen vor mir. Meine Laune sinkt sekündlich, denn Schule ist zwar ganz o.k., Ausfragen und Tests verabscheue ich jedoch zutiefst.
Kurze Zeit später bin ich auf dem Weg zur Schule, ein Gymnasium in der Stadtmitte. Die Leute, die sich nach mir umdrehen und mich anstarren, nehme ich aus den Augenwinkeln wahr. Anfangs hat mich das aufgeregt, wenn ich die Blicke und das Getuschel mitbekommen habe. Heute fühle ich dabei nur noch eine leichte Wut im Bauch. Der Unterricht verläuft wie immer, in der Pause unterhalte ich mich mit meinen Freundinnen über die verschiedensten Dinge wie Schulzeug, den grässlichen Kleidungsstil unserer Französischlehrerin und über typische Mädchenthemen.
Im Sportunterricht ist dann wieder alles anders. Ich muss auf der Bank sitzen, während die anderen aus meiner Klasse sich beim Basketball auspowern und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als auch mitmachen zukönnen.
Auf meinem Attest vom Arzt steht, dass ich eine  aus „psychologischen Gründen entstandene Bewegungsstörung habe“. Für mich heißt das, dass ich in Stresssituationen und unter den Blicken anderer Menschen Zuckungen erleide und deshalb auch teilweise Probleme beim Laufen habe. Zu Hause und unter bekannten Leuten ist jedoch die Krankheit wie weggeblasen ….
Auf dem Heimweg stehen an eine Hausecke gelehnt ein paar Jungs, die lachen und auf mich zeigen. Ich gehe an ihnen vorbei und tue so, als würde ich sie nicht bemerken. Ich registriere, wie eine Freundin die neben mir geht, rot anläuft. Sie würde es nie zugeben, aber ihr ist es peinlich, mit mir rumzulaufen.
Solche Situationen machen mich fertig und diese Angst ist wieder da, dass mich niemals jemand so akzeptieren kann, wie ich bin, dass mich niemals jemand so lieben kann, wie ich bin. Entweder glotzen mich die Leute an als wäre ich ein Alien, wollen nichts mit mir zu tun haben oder sie bemitleiden mich. Nur, dass ich nicht bemitleidet werden will, sondern einfach „normal“ behandelt werden möchte. Ich denke, das geht vielen so, die in irgendeiner Weise eingeschränkt sind. Denn es ist geschmacklos, Menschen für etwas respektlos zu behandeln, für das sie nichts können.

Autorin / Autor: Anna, 16 Jahre