Tagebuch eines Depressiven

Einsendung zum Schreibwettbewerb "KörperGEFÜHLE" von Tabea, 18 Jahre

Liebes Tagebuch,

ich lebe am Abgrund, und ich fürchte, sogar ein leichter Windstoß könnte mich zu Fall bringen.
Ich bin psychsisch krank. Das ist falsch. Ich habe eine psychische Krankheit. Sie ist ein Teil von mir, definiert mich aber nicht als Ganzes.
Viel ist passiert in der Zeit, wo ich nicht Tagebuch führte. Gedanken haben an die Oberfläche gefunden, von denen ich nicht wusste, dass sie in mir schlummern. Doch es wäre das Beste, wenn ich am Anfang beginne, denn die wenigsten Geschichten beginnen mit dem Ende.

Die Schatten haben am Anfang dieses Schuljahres angefangen mich heimzusuchen. Permanent fühlte ich mich müde, konnte aber nicht schlafen und Glück war immer nur von kurzer Dauer. Es perlte  wie Wasser von einem Lotusblatt ab. Mein  Spiegelbild verhöhnte mich jedes Mal, wenn ich einen Blick wagte. Ich hasste mich selber, doch unternahm nichts. Jeder durchlebt manchmal gute und manchmal schlechte Zeiten und bei mir waren es derzeit die Schlechten. Doch Wochen vergingen und die guten Zeiten schienen nicht zu kommen. Ich verkapselte mich immer mehr in meiner Traumwelt und hielt mich von meinem Freundeskreis fern. Ich rechtfertigte es damit, dass niemand mit mir befreundet sein wollte. Mein Charakter ist viel zu widerlich und meine Präsenz nicht auszuhalten. 
Meine Schulnoten wurden immer schlechter und dadurch hasste ich mich immer mehr, worauf ich in eine Art Paralyse viel und meine Noten noch schlechter wurden. Ein Kreislauf entstand aus dem ich nur schwer ausbrechen konnte.
Ich aß nichts, ich schlief die ganze Zeit, meine Gefühle waren leer und meine Existenz nur noch eine Farce. Mein Körper war eine Hülle und ich erkannte mich selber nicht mehr. Mein Äußeres spiegelte mein Inneres wieder, welches alles andere als schön aussah. Ich ging nur noch schlafen in der Hoffnung nicht mehr aufwachen zu müssen. Die Schatten hatten komplett Besitz von mir ergriffen.
Viele Stunden dachte ich über Selbstmord nach. Ich romantisierte den Suizid in meinen Gedanken und nannte ihn Freitod, nicht wissend, dass Selbstmord meine befangenste Tat gewesen wäre. Mir fiel selbst das Aufstehen schwer und jede Bewegung war anstrengend und schwierig.
Was dann geschah, nenne ich nur den tiefsten Punkt meines Lebens und dabei will ich es auch bleiben lassen. Es gibt keine Worte dafür.
Viel zu spät bemerkte ich, dass etwas nicht stimmte. Kein gesunder Mensch quält sich so durch sein Leben. Niemand hasste mich so sehr, wie ich es tat. Sich so etwas einzugestehen braucht viel Mut, doch Hilfe zu holen noch mehr. Psychische Krankheiten sind in unserer heuten Gesellschaft ein Tabuthema und die Angst stigmatisiert zu werden groß. Ich weiß nicht, wie ich es geschafft habe, die Courage dafür zu finden, aber ich bin zu einem Psychologen gegangen. Eine Entscheidung die mir rückblickend das Leben rettete.
Er meinte, ich habe ein chemisches Ungleichgewicht in meinem Kopf, weswegen zu wenig Glückshormone produziert werden. Zuerst empfand ich Scham, obwohl ich nichts dafür konnte. Ich wollte nicht, dass meine Freunde und Verwandten von meiner Krankheit wussten. Es hat viel Zeit gebraucht, bis ich akzeptieren konnte, wie ich bin.
Derzeit bin ich auf dem Weg der Besserung. Ich lerne langsam mich wieder selbst zu lieben und schaffe es in den Spiegel zu schauen ohne mich zu hassen.
Ich lebe am Abgrund, aber anstatt zu fallen, habe ich fliegen gelernt.

Autorin / Autor: Tabea, 18 Jahre