Der Brief

Einsendung zum Schreibwettbewerb "KörperGEFÜHLE" von Uta

Ich schreibe einen Brief an meine Großtante. Noch schön altmodisch mit einem weißen Füller, der über azurblaues Papier schleift. Gerade habe ich die Höflichkeitsformeln durch, als mir auffällt, dass ich mit einer richtigen Sauklaue schreibe. Ich seufze, setze den Füller ab und lehne mich zurück. So kann der Brief nicht abschickt werden. Also landet diese Version im Papierkorb. Zeit für einen neuen Versuch. Auch nicht viel besser. Stimmt es eigentlich wirklich, dass man es an der Handschrift erkennen kann, wenn etwas mit dem Körper des Schreibers nicht in Ordnung ist?
Mein prüfender Blick schweift über das Papier. Oh, dann muss ich aber sterbenskrank sein. Es folgt ein herzhaftes Gähnen . Vielleicht war die These doch nicht ganz so falsch. Erst in diesem Moment fällt mir auf, was für einen Hunger ich habe. Wie ich feststellen muss, habe ich den ganzen Tag über wenig gegessen. Es war mir immer etwas Wichtigeres dazwischen gekommen.
Nun ist es Freitagnachmittag. Die Woche war wirklich anstrengend. Ich will, dass der Brief nun endlich fertig wird. Mein Körper will ein Nickerchen machen. Eigentlich will mein Körper auch nicht zum Training. Das Dumme ist nur, in diesem Duell kann es definitiv keinen Sieger geben.
Ich schließe die Augen und suche nach einem passenden Thema für den Brief. Ein annehmbarer Kompromiss für beide Seiten, Körper und Seele. Ommm! Wenn ich so darüber nachdenke, kann das auch gleich zum Thema werden. Ich wurde nämlich gestern von meiner Trainerin zum Yoga geschickt. Nach dem eigentlichen Training, was allein schon zwei Stunden gedauert hat.
Eigentlich bin ich ziemlich beweglich. Die Übungen zur Dehnung waren also nicht das große Problem. Dann begann der schwierigste Teil. Das aktive Entspannen. Wie bei allem, was ich tue, wollte ich natürlich auch hier mein Bestes geben, leider musste ich feststellen, dass in dieser Hinsicht absolut  kein Talent vorhanden ist.
So lag ich dort im Dunkeln auf dem hellen Teppichboden der Halle für rhythmische Sportgymnastik und schaute mich nervös um. Mein Kollege rechts von mir schlief schon. Meine Freundin auf der linken Seite sah auch sehr friedlich aus. Nur ich hatte ein Problem. Und zwar ein wirklich großes Problem. Mein Körper fand diese Übung klasse. Es war, als verweigerten mir alle Muskeln gleichsam den Dienst. In meinen Kopf war allerdings noch Party angesagt. Umso nervöser wurde er, als er feststellen musste, dass ich mich nicht mehr bewegen konnte. Ich fühlte mich wie gelähmt. Fast wie Stephen Hawking.
„Sei gut zu deinem Körper.“ hörte ich die Übungsleiterin von Vorne sagen.
Warum das denn? Mein Körper ist schließlich auch nicht gut zu mir. Ständig dieser Hunger, obwohl ich mich viel zu dick finde. Ich würde gerne bessere Leistungen im Sport erbringen und dass ich immer anfange zu zittern, wenn ich mich fürchte, finde ich auch ziemlich blöd. Oder wenn man einmal an Gänsehaut denkt, dann hat man doch den ultimativen Beweis, dass längst nicht alles, was der Körper macht einen Sinn hat. Warum muss man überhaupt so viel Zeit für die Körperpflege aufwenden? Die könnte man bestimmt besser einsetzen.
Die Yogalehrerin war trotzdem sehr nachsichtig mit mir. „Entspannung muss man auch erst lernen, wie man jede sportliche Aktion lernen muss, Rosa.“
Auch wenn mein Name nicht Rosa ist, hat mich dieser Gedanke doch schon sehr beruhigt. Deswegen wollte ich ihr auch keinen Vorwurf machen, dass sie sich meinen Vornamen nicht merken kann.
Ich lege den Füller beiseite. Entspannung muss man also lernen? So wie Vokabeln? Ich schaue auf die Uhr und stelle meinen Wecker auf dreißig Minuten Ruhe ein. Dann wird jetzt erst einmal Entspannung gepaukt. Den Brief kann ich auch später noch schreiben. Dann hoffentlich in Schönschrift.

Der Brief in "Originalschrift"