Mein Körper als mein Lebensbegleiter

Einsendung zum Schreibwettbewerb "KörperGEFÜHLE" von Johanna

Mein Körper ist nicht das Zuhause meiner Seele. Mein Körper ist nicht das Zuhause meiner Persönlichkeit. Ich bin nicht das, was ich im Spiegel sehe und nicht das, was du vor dir siehst, wenn du mich anschaust und schon gar nicht das, was du anfassen und berühren kannst.
Ich bin etwas ganz anders. Ich bin vielleicht rein physisch das, was mein Körper ist. In mir  drin bin ich mehr. Viel mehr. Mein Körper ist nicht mein Zuhause.

Ich mag meinen Körper nicht sonderlich. Ich kämpfe oft mit ihm. Ich bin oft gegen ihn. Ich fühle mich nicht wohl in ihm, und doch habe ich mir einen andern gewünscht. Die Einsicht, dass mein Körper zu mir gehört und ich mich um ihn kümmern muss, traf mich hart. Der Körper ist nicht alles, ist nicht das, was ich bin, aber er ist ein Teil dessen, ohne den ich nicht sein kann, was ich bin!

Mein Körper und ich haben eine lange Geschichte hinter uns. Wir haben viel miteinander erlebt und durchgemacht. Und das meiste habe ich meinem Körper angetan, weil er nicht das, was ich wollte, dass er es ist. Ich wollte, dass er perfekt ist. Ich wollte, dass er schön und makellos ist. Ich wollte, dass er dünn ist. Dass er nach außen die Perfektion ausstrahlte, die ich innerlich suchte.

Ein Teil meines Ichs wählte es dem Schlankheitsideal der Gesellschaft zu folgen, und mein Körper musste diese Entscheidung ertragen. Seit Jahren kämpft mein Körper hart unter den Bedingungen, die ich ihm biete. Und immer hält er durch. Er hat Tiefphasen, in denen er ausgezerrt und ausgehungert am Ende der Kraft ist, mich zum Liegen zwingt und mich anfleht, unter Einsatz aller ihm gegebenen Möglichkeiten, zu essen, ihm Nahrung zu geben, ihn und seine Funktionen aufrechtzuerhalten, mit denen er mich am Leben hält.

Mein Körper hat lange den Kampf gekämpft, den ich aufgegeben hatte. Ich müsste ihn rückblickend dankbar dafür sein. Er hat mich vor dem sicheren Tod bewahrt, indem er immer weiter gekämpft und sich nicht ergeben hat. Er ist stark. Ja, mein Körper ist stark.
Ich bin es nicht!

Ich habe meinen Körper gehasst und ich hasse ihn immer wieder zwischendurch. Ich hasste ihn, weil er aussah wie er eben aussah. Ich hasste ihn, weil er mir zu dick, zu fett, zu ekelhaft erschien. Ich hasste ihn, weil dort Haut war, wo ich am liebsten nur Knochen hätte gesehen. Ich hasste ihn, wenn ich in den Spiegel sah und mich ekelhaft fühlte, abstoßend, widerwertig.
Ich hasste ihn tagein, tagaus und ich hasste ihn sogar nachts, wenn ich im Bett lag, stolz nicht gegessen zu haben, während mein Körper nach Nährstoffen schrie. Ich hasste ihn, wenn ich vor körperlicher Erschöpfung kaum mehr stehen konnte, und er mich so zwang wenigstens eine Suppe zu essen. Ich hasste meinen Körper, weil ich ihn NICHT FÜHLTE!
Ich fühlte meinen Körper nicht und alles was ich fühlte, war falsch. Ich fühlte Fett, wo nur noch Knochen waren. Ich fühlte mich widerwärtig dick, wo ich in anderen Augen widerlich abgemagert war.

Und ich fühle auch heute immer wieder so… ich fühle nichts Wahres. Ich fühle meinen Körper nicht so, wie er ist. Ich fühle ein Bild, dass in meinem Kopf von meinem Körper existiert. Aber dieses Bild entspricht nicht der Realität, so ist es seit Jahren.

Irgendwann vor etwas über einem Jahr begriff ich, dass ich leben wollte. Nicht nur mein Körper wollte überleben. Auch ich wollte es. Ich begann zu kämpfen, aber mein Körpergefühl- das, was ich eben nicht richtig fühlte - hinderte und hindert mich noch heute daran richtig gesund zu werden. Als Überlebensinstinkt baute ich eine Distanz zwischen dem auf, was ich bin und dem, was mein Körper ist: ich bin nicht mein Körper.
Ich habe mich von meinem Körper distanziert. So schaffe ich es, dass dieser Hass und Ekel nicht mein Leben bestimmt. Ich kann meinen Körper „beobachten“, als wäre es nicht mein Körper. Ich versuche ihn nüchtern zu betrachten und zu sehen, was die anderen sehen. Ich sehe es bis heute nicht. Und ich falle immer wieder zurück in diesen Körperhass, in dieses Nicht-Fühlen, in dieses Falsch-Fühlen. Ich rede nicht von mir, wenn ich von meinem Körper rede. Und ich rede nicht von meinem Körper, wenn ich von mir rede. Mein Körper ist mir fremd. Mein Körper ist distanziert von dem, was ich bin.

Obwohl mir bewusst ist, dass diese Distanz zwischen Körper und Seele, zwischen meinem Körper und dem, was ich bin, esoterisch gesehen gefährlich werden kann, erkenne ich darin keine Gefahr, sondern eine Chance. Es ist die einzige Möglichkeit für mich „mehr“ zu sein. „Mehr“ zu leben, als von meinem Körpergefühl bestimmt.

Ich kann Tage genießen, an denen ich es schaffe, meinen Körper als eine Hülle zu betrachten, die nicht „ICH“ bin. Und ich bin froh, wenn Tage vorbei sind, an denen ich allzu sehr in physischen Existenz meines Seins verweile.
Ich glaube daran, dass die Seele ewig und der Körper vergänglich ist. Ich glaube daran, dass wir im Laufe unseres ewigen Seelenlebens viele Körper erhalten, in denen wir die unterschiedlichsten Lebenserfahrungen machen dürfen. Ich glaube daran, dass mein Körper mir wichtige Dienste leistet, denn er erlaubt es mir hier zu sein. Er gibt mir, meiner Seele, meinem Ich, die physische Daseins-Möglichkeit. Er sichert mein Leben in dieser Zeit auf dieser Erde. Daher versuche ich ihn zu schützen. Ihn zu akzeptieren.

Durch die Distanz zwischen meinem Körper und mir, ist es mir immer häufiger möglich ihm wirklich einigermaßen zu bieten was er braucht, damit er mir weiterhin dieses physische Leben sichert.

Mein Körper ist mir fremd und doch nahe. Mein Körper ist ein Fremdkörper und doch MEIN Körper. Er ist mir fremd und bekannt gleichzeitig. Er ist mein „Lebensbegleiter“. Wir werden wohl keine besten Freunde werden. Aber wir werden hoffentlich noch sehr viele Jahre gemeinsam durch dieses Leben gehen.