Körperkrieg

Einsendung zum Schreibwettbewerb "KörperGEFÜHLE" von Debora

Nur ein Blick in den Spiegel genügt nicht. Der nackte Körper ist gezeichnet von Verzicht und das Mädchen betrachtet ihn aus jedem erdenklichen Licht. Alles, was sie sieht, sind die zahlreichen Attribute, die ihn entstellen. Sie hat es schon oft verbrochen und heimlich ihre Knochen gezählt. Mit ihren Fingern geht sie auf Wanderschaft und sucht Beweise dafür, dass sie weniger wird.
Die Schlüsselbeine hat sie am liebsten, deswegen umarmt sie das Mädchen gerne mit den Fingern und umschließt den Knochen so fest, dass es schmerzt.
Sie muss einen Handspiegel zücken und betrachtet damit ihren Rücken. Langsam fährt sie ihre Wirbelsäule hinunter, trifft auf das Steißbein und wandert ohne Eile hinauf zur Taille.

Sie kann jede Rippe zählen, versucht zwischen Ekel und Bewunderung zu wählen, aber kann sich nicht recht entscheiden. Vielleicht in einem anderen Licht, aber nein, berühren will das Mädchen sie nicht. Sie fühlen sich zu zerbrechlich an, fast so, als könnte man den Rippenbogen mit bloßen Fingern eindrücken. Der Anblick erinnert an Auschwitz-Opfer oder blutiges Metzger-Rippchen-Fleisch.
Schnell fährt sie das Tal zwischen ihren Beckenknochen entlang. Auf und nieder, immer wieder, diese Knochen hat sie lieber. Man kann sich an ihnen festkrallen, wenn das Leben an Halt verliert.
Mit der Zeit haben nicht nur Knochen, sondern auch leere Räume an Bedeutung gewonnen. Das Mädchen will ein Nichts zwischen Kinn und Hals, ein größeres Nichts zwischen ihren Schenkeln und das absolute Vakuum in ihrem Magen, sie will Abstand, wo bei anderen Fett und Haut aneinander reibt.
Ihr Körper ist reiner Marmor und ihr Wille ist der Meißel, mit dem sie Stück für Stück ihr Knochengerüst herausschlägt. Sie lebt für ihr Projekt, weil sich vielleicht doch noch ein wenig Schönheit darin versteckt. Alles, was sie hat, ist ihre dünne Hoffnung. Das Leben pulsiert, von ihrer Angst elektrisiert, im ständigen Körperkrieg zwischen sich selbst und dem Rest der Welt. Es ist zu viel und zu grell, ein Marathon ohne Pause und viel zu schnell, das Leben brennt auf der Zunge, es schmeckt scharf und bitter, ihre Ohren pfeifen, die Gedanken dröhnen, das Spiegelbild will sie verhöhnen und verzerrt zu einer grässlichen Fratze, das Mädchen holt aus und lässt ihre Faust dagegen krachen.

Warme Flüssigkeit tropft auf ihre blassen Zehen. Ihr Spiegelgesicht starrt sie mit hundert Augen aus einem Scherbenspiegel-Spinnennetz verständnislos an. Ein Splitter steckt noch in ihrem zitternden Mittelfinger. Schwer atmend zieht das Mädchen daran und ein rotes Rinnsal läuft ihren Arm hinunter und leuchtet grell auf ihrem blassblauen Körper. Dem Mädchen ist kalt. Sie will sich mit warmem Wasser waschen, aber Fasten macht müde und sie muss sich kurz festhalten, um nicht den Halt zu verlieren. Ihre Augen starren grau und brennen, das Herz beginnt stolpernd zu rennen, dann verabschiedet sich ihr Bewusstsein mit tanzenden schwarzen Flecken. „Schlafende spüren den Hunger nicht.“, denkt sie, als ihr Körper zusammenfällt und ihr Kopf auf die kalten Fließen kracht. Je weiter sie sich träumt, desto ferner wacht sie auf.

Autorin / Autor: Debora, 18 Jahre