Einer ist anders

Seit dem neuen Schuljahr, ist ein Autist bei uns in der Klasse. Vieles hat sich seitdem geändert...

Seit dem neuen Schuljahr ist ein Autist bei uns in der Klasse. Was das heißt und wie man damit umgeht, mussten wir alle erst einmal lernen und verstehen.

*Was ist Autismus?*
Autismus ist eine Entwicklungsstörung. Unterschieden werden dabei zwei Arten, der frühkindliche Autismus (dieser macht sich schon als Baby bemerkbar, wenn sich das Kind z.B von den Umarmungen seiner Mutter nicht beruhigen lässt) und das Asperger-Syndrom (welches unser Klassenkamerad hat, dieser macht sich erst nach ungefähr drei Jahren bemerkbar). Autisten haben im alltäglichen Leben viele Probleme, die sie zu bewältigen haben.  Oft sind ihre Sinne "überladen", das heißt sie sind überempfindlich, wenn sie zu viel Lautes hören, zu viel riechen, zu viel sehen oder zu viel schmecken. Damit es nicht zu einer Reizüberflutung kommt, benutzen Autisten Ohrstöpsel, Kopfhöhrer oder Sonnenbrillen. Auch mit der Motorik haben manche Autisten Probleme, sie bewegen sich oft linkisch, gehen plump oder sind unsportlich (was bei unserem Klassenkameraden nicht der Fall ist - im Sportunterricht ist er einer der Schnellsten!).

Aber das wohl schwierigste und auffälligste Problem ist das Sozialverhalten. Autisten haben Schwierigkeiten mit zwischenmenschlichen Kontakten, sie weichen Blickkontakt aus (sie können dem Gesichtsausdruck ihres Gegenübers keine Gefühle zuordnen, sie betrachten das Gesicht als Objekt) und bemerken oft nicht, dass sie abweisend, schüchtern oder desinteressiert wirken, manche Leute bezeichnen diese Krankheit deshalb auch scherzhaft als "Hoppla-Falscher-Planet-Syndrom", weil es teilweise so wirkt, als wären Betroffene in einer anderen Welt gefangen und leben dort ganz für sich alleine, als würde niemand zu ihnen durchdringen können und niemand sie verstehen. Autismus ist dabei keine Krankheit, die durch Umwelteinflüsse wie falsche Erziehung oder Traumata hervorgerufen wird, sondern sie entsteht durch genetische Einflüsse (das heißt, man ist Autist oder man ist es nicht, heilbar ist Autismus nämlich nicht, allerdings kann man sich auch nicht durch Händeschütteln oder Küssen mit Autismus anstecken - man kann es gar nicht).

*Gar nicht so ungewöhnlich*
Eigentlich sieht man meinem neuen Mitschüler gar nicht an, dass er in irgendeiner Weise krank oder behindert ist. Er sieht vielleicht ein bisschen anders aus als die meisten Jungs, aber immer noch normal. Viel auffälliger ist sein Verhalten. Oft sitzt er unruhig auf seinem Stuhl, steht auf, läuft herum und lacht in sich hinein. Wenn er in der Klasse drangenommen wird, redet er oft langatmig und bemerkt nicht, wenn sich seine Zuhörer desinteressiert wegdrehen und weghören, auch Sachen wie Ironie oder Sarkasmus bemerkt er oft gar nicht, oder nur spät. Einerseits hat das natürlich etwas Lustiges und entspannt den Unterricht für einen kurzen Moment, andererseits kann es auch stören. Beinah keine Stunde vergeht, ohne dass er nicht einmal auffällt und den Unterricht stört. Aber das Besondere ist, dass er ein richtiges Mathegenie ist. Er rechnet schwierige Aufgaben in Sekundenschnelle, das wird wohl auch der Grund sein, warum er eine Klasse übersprungen hat. Außerdem kann er sich unendlich viele Daten merken, ich glaube, er kann Napoleons ganzes Leben auswendig. Nur manchmal hat er Schwächen in Fächern wie Deutsch oder Informatik. Aber Schwächen hat schließlich jeder von uns.

*Wie geht man damit um?*
Vor allem am Anfang gab es viele Probleme. Die Jungs haben ihn geärgert und gestört und die ganze Klasse hat sich über seine Sonderbehandlung beschwert (wie z.B, dass er aufstehen darf, ohne dass der Lehrer etwas dagegen sagt). Oft haben wir ihn auch verwundert angeschaut, wenn eine seiner Eigenheiten sich bemerkbar gemacht hat, manchmal hüpfte er wild durch den Flur oder legte sich einfach auf den Boden und streckte die Beine in die Luft. Viele dieser Angewohnheiten sind zwar ziemlich seltsam, aber nach einiger Zeit gewöhnt man sich daran, und schließlich hat jeder so seine Macken und Ticks, die die anderen merkwürdig finden würden.

*Wir würden ihn nun vermissen, wenn er wieder geht*
Mittlerweile hat sich die Lage gebessert. Die Jungs ärgern ihn nur noch selten und dass er besonders behandelt wird, damit müssen wir wohl leben, schließlich hat er eine Menge mehr Probleme als wir und trotzdem meistert er den Schulalltag besser als mancher "Normalo".
Vor ein paar Monaten hat uns ein Psychologe besucht, der uns diese Krankheit genau erklärte, wir durften sogar selber "nachfühlen" wie es ist, ein Autist zu sein (das heißt, wir mussten mit dicken Bauarbeiter Handschuhen kleine Schrauben auffeinander drehen, Gesichter Gefühlen zuordnen, mit einer speziellen Brille, die einen alles verschwommen sehen lässt, einen Kreidestrich nachgehen und mit dröhnender Musik auf den Ohren Matheaufgaben lösen). Abgesehen von seiner Krankheit ist unser autistischer Mitschüler wirklich nett, er hilft einem bei Mathe, erzählt immer munter über Napoleon und lacht viel. Nach den sechs Monaten bei uns in der Klasse hat er sich wirklich gut eingelebt und ich wette, jeder meiner Klassenkameraden würde ihn nun vermissen, wenn er wieder geht.

Autorin / Autor: schwesterhase - Stand: 18. Januar 2011