Tödliche Freundschaft - Teil 9

Anne-Katrin Kreisel

Sehnsüchtig warte ich auf das Klingeln zum Schulschluss. Mittwoch, letzte Stunde, Kunst. Zum Einpennen. Vor allem mit Fobby. Eigentlich heißt unsere Lehrerin ja Krausemann, aber weil sie so übermäßig fett und hässlich ist, hat sie den Spitznamen Fobby, den wir von fett und Dobby, ein Vieh aus Harry Potter, welches außerordentlich hässlich ist, abgewandelt haben. Unruhig rutsche ich auf meinem Stuhl hin und her. Lena guckt mich stirnrunzelnd an: „Wenn du auf Klo musst, melde dich doch!“ Ich unterdrücke ein hysterisches Kichern. Nein, auf Klo muss ich wirklich nicht. „Nein, nein, schon gut.“ Mit einem Seufzen wendet sie sich wieder ihrem Bild zu. Die Ahnungslose... Ist besser so.

Eine das Trommelfell zerreißende Klingel ertönt. In null Komma nichts bin ich aus der Klasse. Halt, langsam, langsam! Sonst errege ich nur Aufsehen, denn sonst bin ich auch nicht ganz so schnell weg. Ich lehne mich ans Treppengeländer und warte auf Maria. Klasse, da kommt sie ja schon mit Celine im Schlepptau. Oder hat Celine sie im Schlepptau? „Hi Maria! Gehen wir?“ „Ja klar.“ Vor dem Schultor steht Lars einsatzbereit. Sofort rutscht mein Magen eine Etage tiefer. Wenn jetzt nur nichts schief geht! „Tschüss Celine“, verabschiedet sich Maria. Ihre Freundin muss nach links, wir nach rechts. „Ja, Ciao, bis morgen!“, sagt Celine. Ich muss mich zusammenreißen, dass ich nicht auflache. Bis Morgen! Sicher? Wenn Lars jetzt nichts vermasselt. Ich trete mit Maria die Heimreise an. Was mein Bruder gerade macht, kann ich nur erahnen.

Nachdem ich Maria zu Hause abgeliefert habe, sitze ich nun ungeduldig im Hausflur und warte auf meinen Bruder. Was dauert denn da so lange? Bestimmt sind alle Ampeln rot. Mit zunehmender Verzweiflung blicke ich durch die Glastür nach draußen. Just in dem Moment parkt der rote VW meiner Mutter, den sich mein Bruder ausgeborgt hat, vor dem Haus ein. Na endlich. Ich verstecke mich unter der Treppe, damit mich Celine nicht sofort sieht. Falls Lars es tatsächlich geschafft hat... Oh ja, er hat. Durch die Tür treten zwei sich munter unterhaltende Menschen ein. Mein Bruder und Celine. „So, das, was ich vergessen habe, liegt im Keller. Kommst du mit runter?“, höre ich ihn sagen. „Ja, klar.“ Na, die beiden scheinen sich ja prächtig zu verstehen. Kaum sind sie im Keller ver-schwunden, bin ich ihnen schon auf den Fersen. Lars strebt auf den Heizungskeller zu. Er geht rein und sie folgt ihm. Irgendwie habe ich mir Entführungen schwieriger vorgestellt. „Hilfst du mir suchen? Ich brauche eine bestimmte Größe von einem Schraubenschlüssel. Da, in der Kiste müsste einer liegen.“ Du König der Lügen! Sie beugt sich tatsächlich über die Kiste und fängt an zu kramen. Ich trete einen Schritt vor und gebe Lars ein Zeichen mit dem Kopf. Bis jetzt stand ich so hinter der Tür, dass sie mich nicht sehen konnten. Auf mein Nicken schleicht er sich von hinten an sie ran, verdreht ihr die Arme auf dem Rücken, und ich fessle sie an einen Pfeiler an der Wand. Zum Schluss bekommt sie noch einen Steifen Klebeband über den Mund. „Yes, klatsch ein!“, fordert mich Lars auf und strahlt dabei übers ganze Gesicht. Ich tue es mit einem Lächeln. Die fragenden Augen von unserer Geisel sprechen Bände. „Mein gewiefter Bruder, Lars.“, kläre ich sie mit einem Wink auf ihn auf. Jetzt guckt sie nicht mehr fragend, sondern entsetzt. „Was hast du ihr eigentlich erzählt?“ Ich muss lachen, sie guckt einfach zu perplex. „Ab heute darfst du mich Nils Müller nennen. Mein Tarnnamen, denn ich bin ein Freund ihres Vaters, welcher mich gebeten hat sie abzuholen. Ich möchte ihm bei einer Reparatur helfen und habe meinen Schraubenschlüssel hier vergessen. Genial, oder?“ „Wer hätte das gedacht! Mein sonst so dämlicher Bruder lässt sich mal was einfallen!“ „Hey, das nehme ich persönlich!“ Empört stemmt er die Arme in die Seiten. „Okay, Spaß beiseite! Gehen wir hoch?“ „Mh.“

In unserer Wohnung ist mal wieder keiner anzutreffen. Ausnahmsweise bin ich mal froh darüber, denn was ich jetzt mit Lars bespreche, braucht keine interessierten Zuhörer: „Ist das Arsentrioxid wasserlöslich?“ „Keine Ahnung, ich nehme `s mal an. Probier’s aus!“ „Ja. Füll du doch schon mal ein Glas mit warmen Wasser.“ Schnell verschwinde ich in meinem Zimmer, um den kleinen Plastikbeutel zu holen. „Soll ich gleich alles reinkippen?“, frage ich Lars. „Besser erstmal nur ein paar Krümel... Nachher ist es nicht löslich, und du hast schon alles rein-gekippt.“ Gesagt getan. „Es löst sich auf! Gott sei Dank...“ Ich schütte den Rest auch noch hinterher. „Dir ist klar, dass das 0,5 Gramm waren?“ „Ooops...Zu spät. Na egal. Sie wird sich schon nicht übervergiften.“ Meinem Bruder huscht ein Lächeln übers Gesicht. „ÜBERVERGIFTEN. Toller Neologismus.“ „Hä?“ Was zum Teufel ist denn ein Neologismus? „Ach, vergiss es.“ Er winkt ab. Das Zeug hat sich in der Zwischenzeit vollständig gelöst. „Soll ich es ihr servieren?“ „Ja klar, ist schließlich deine Geisel. Viel Spaß!“ Ich schnappe mir das Glas und mache mich auf den Weg zu Celine. Die Ärmste hat bestimmt Durst.

Der nächste Teil wird am 11. März veröffentlicht >>>

Autorin / Autor: Anne-Katrin Kreisel - Stand: 10. März 2009