Das Portal

Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet

Der Wind strich mir kühl über das Gesicht, als ich keuchend den holprigen Feldweg entlang fuhr. Ich musste mich ziemlich beeilen, da Ich verschlafen hatte und die Schule bereits in zehn Minuten los ging. Neben mir erstreckten sich die weiten Felder. Mein Blick schweifte über die vertrockneten Halme. Plötzlich leuchtete etwas im Feld hell auf. Das Licht blendete meine Augen einen Moment und ich verlor die Kontrolle über das Rad. Scheppernd fuhr es in den Graben. Ich flog kreischend vorn über und landete unsanft auf dem Boden. Mir war nichts passiert. Ich stand auf und hielt Ausschau nach dem Verursacher des Lichtes. Nicht weit weg von mir stand ein mächtiges Portal. Der weiße Stein, aus dem es gebaut war, war nur grob geschliffen. Es stand einen Spalt weit offen. Vor wenigen Minuten war da noch nichts gewesen. Erschrocken sah ich auf meine Armbanduhr. Die Schule hatte schon begonnen. Ich würde sowieso zu spät kommen, da machte es keinen Unterschied mehr, wenn ich mir diese Türe noch etwas genauer ansehen würde. Langsam schritt ich um sie. Dahinter breitete sich das Feld weiter aus. Ich musterte sie nochmals. Um sie auch von Innen zu betrachten und schob ich sie ein Stück weiter auf. Hinter ihr sah ich die gewohnte Landschaft, aber sie wirkte seltsam verzerrt. Ich wollte hindurchgehen. Kaum dass ich einen Fuß über die Schwelle gesetzt hatte, verschwamm alles um mich herum. Ich hörte Stimmen reden. Mir wurde schwindelig. Ich ging einen Schritt nach vorne. Alles war wieder normal, doch das, was ich sah, waren nicht die Felder. Ich war auf einem Marktplatz gelandet. In langen Reihen standen Verkaufsstände aus dunklem Holz. Die Pflanzen, die hier und da wuchsen, sahen aus, als wären sie aus lauter funkelnden Diamanten. Um den Marktplatz herum standen kunstvoll verzierte Häuser. Es sah alles ganz anders aus als in der Gegend, die ich kannte. Auch die Menschen, die zwischen den Ständen umherliefen, wirkten verändert. Sie trugen lange Gewänder und hatten dunkle Haare. Diese Menschen waren mir seltsam fremd, als wären sie aus einer anderen Welt. Wo war ich eigentlich? Ich drehte mich um. Ein unbehagliches Gefühl machte sich in mir breit. Die Türe, durch die ich an diesen Ort gekommen war, war verschwunden. Wie sollte ich nun wieder nach Hause kommen? Ich beschloss erstmal herauszufinden, wo ich war. Also steuerte ich auf einen Stand zu, vor dem keine Leute standen. Der Weg unter mir bestand aus Steinen, die in bunten Farben schimmerten. Ich hob einen auf. Er war blau und rund. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Ich steckte ihn in meine Hosentasche und ging weiter. „ Hallo“, begrüßte ich die Frau, die hinter der Theke stand. Doch bevor ich weitersprach, kam mir der Gedanke, dass sie vielleicht gar kein Deutsch verstand. Die Frau sah mich einen Moment ausdruckslos an, dann sagte sie:„ Du kommst nicht von hier, oder?“ Ich nickte. Ihre Miene wurde etwas freundlicher. „Weißt du, es ist nicht leicht für jemanden wie dich, hierherzufinden. Das Tor für diese Welt öffnet sich nicht oft, man weiß nie, wann oder wo es erscheint.“ Es fing an zu regnen. Ich spürte die kleinen Tropfen auf meiner Haut. „ Aber wo bin ich hier?“, fragte ich. Die Frau lächelte mich an. „Unsere Welt hier hat keinen Namen.“ Der Regen wurde immer stärker. Ich schaute sie verdutzt an. „ Aber wo soll ich hin?“ Die Menschen um mich herum begannen ihre Stände abzubauen. Der Wind pfiff über den Platz. Die Frau rief mir noch etwas zu, dann verschwand sie in ihrem Stand. Bald wurde es immer nebeliger, bis ich nur noch verschwommene Umrisse erkannte. Ich rannte los. Vielleicht würde ich ja irgendwo einen Unterschlupf finden. Bald spürte ich nicht mehr den steinigen Boden unter meinen Füßen, sondern weichen Grund, wie Gras oder Moos. Ich wurde langsamer. Es wehte kein Wind mehr. Auch der Nebel legte sich mit jedem Schritt mehr. Um mich herum standen lauter Bäume. Ich war also in einem Wald. Die Stämme standen dicht beieinander, so dass ihre obersten Blätter und Zweige dicht ineinander verzweigt waren. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass es nicht mehr regnete. Es war nur noch nur ein dumpfes Plätschern. Wie sollte ich jetzt je wieder nach Hause kommen? Es waren nicht mal mehr Menschen da. Etwas raschelte. Hinter einem niedrigen Busch bewegte sich etwas. Ich konnte nichts erkennen. Hinter mir hörte ich ein Knacken. Ich fuhr herum. Mein Herz raste. Plötzlich sprang mich etwas von der Seite an. Ich schrie auf und stürzte zu Boden. Ein stechender Schmerz durchzog meine Schulter. Ich lag mit dem Gesicht nach unten, und versuchte mich umzudrehen, doch etwas Schweres stand auf meinem Rücken. Das Atmen viel mir schwer. Panisch schlug ich um mich. Die Last auf meinem Rücken verschwand. Schnell stand ich auf. Jetzt konnte ich auch meinen Angreifer sehen: Es war ein großes Tier. Es fletschte die Zähne. Ich raste los. Das Tier war bedrohlich nah hinter mir. Meine Knie waren so weich, dass ich oft das Gleichgewicht verlor und schwankte. Ich hörte das Schnauben des Tieres. Gleich hatte es mich eingeholt. Plötzlich verschwamm alles um mich herum. Das brüllen des Tieres wurde leiser. Alles drehte sich. Mir wurde schwindelig und ich kippte nach vorne…
Blinzelnd öffnete ich die Augen. Vor mir sah ich die gewohnten Felder. Vorsichtig richtete ich mich auf und blieb in einer sitzenden Haltung. Ich musste wieder zuhause sein. Verwundert merkte ich, dass das Portal verschwunden war. Vielleicht war ich bewusstlos gewesen? Nachdenklich blickte ich auf meine Armbanduhr. Es war kurz nach acht. Ich stand auf und lief zu meinem Fahrrad. Daheim würde ich mich erstmal hinlegen. Beim Gehen spürte ich etwas kleines, Hartes in meiner Hosentasche. Ich blieb stehen und holte den runden, blauen Stein heraus. Es war eindeutig der Stein, den ich an dem anderen Ort eingesteckt hatte. Das war der Beweis dafür, dass ich doch in der anderen Welt gewesen war.

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Autorin / Autor: Eva, 13 Jahre - Stand: 15. Juni 2010