Der Geschichtenerzähler

Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet

Das erste Sonnenlicht des Tages sickerte durch die Gassen der Stadt und tröpfelte durch Fensterritzen langsam in die noch im Schatten gelegenen Häuser.
Der Himmel war tintenfarben.
“Als ob man nur eine Schreibfeder hineintauchen bräuchte”, sagte Eli, genüsslich an einem Bonbon lutschend, das den Geschmack von Zitrone hatte. Johanna runzelte die Stirn, während sie leicht mit dem Fuß auf und ab wippte und dabei hartnäckig das Geräusch des zufrieden schmatzenden Mundes neben sich ignorierte. Das Problem war, dass die zuckrige Freude, die angesichts ihrer wachsenden Verzweiflung in der Luft lag, ihr spöttisch ins Gesicht grinste und den süßen Duft der Versuchung zu ihr hinüberwehte.
“Okay, Dummkopf, du hast gewonnen. Gib ein Bonbon her.” Eli lachte und zog in diebischer Bequemlichkeit eines der in Papier verpackten Süßigkeit aus seiner Hosentasche, um es dem Mädchen zu reichen.
“Ich wusste, dass du es nicht lange durchhältst”, stichelte er, worauf Johanna genervt die Augen verdrehte und in den Himmel starrte.
“Das war aber auch kein Wunder, nachdem du mir so ausgiebig klar machen musstest, welch Geschmackserlebnis mich doch erwarten würde, sollte ich diese Kostbarkeit probieren”, grummelte sie, worauf ein empörtes Schnauben ertönte, das die Luft wie einen Pfeil durchschnitt.
“Willst du mir weismachen, dass ich gegen die Spielregeln verstoßen habe?”, wetterte Eli auch sogleich.
“Nun heul doch nicht gleich.”
Das ließ Eli sich selbstverständlich nicht gefallen. Er stürzte sich auf das Mädchen und fing an, sie zu kitzeln. Ihr Lachen fiel zwischen den beiden ins Gras und schlich sich langsam davon, beinahe wie eine Schlange auf Beutezug.
Flink war Johanna aufgesprungen und rannte nun davon, während Eli sie zum Teufel wünschte. Glühende Freude lag in der Luft und flog hinter den beiden Gestalten her, überholte sie schließlich und verlor sich, nachdem sie noch einmal der Sonne zugewinkt hatte.

Mit einem Mal blieb Johanna stehen und brachte Eli damit so abrupt zum Anhalten, dass er sein Gleichgewicht verlor und geradewegs auf dem Boden landete. Sein Atem kroch über die Wiese. “Sag mal, bist du denn verrückt?”, erboste er sich sogleich, richtete sich auf und klopfte sich den nicht vorhandenen Staub von der Hose. Erst jetzt sah er, auf was Johanna da starrte. Nicht etwa Wand, wie er zuerst vermutet hatte, nein, es war eine Tür. Eine Tür, die vorher noch nicht da gewesen war. Ganz unschuldig blickte sie drein, passte sich fast makellos an die mit Narben übersäte Haut des Hauses hinter sich an. Ging vielleicht sogar fließend darin über.
Wäre sie nicht angelehnt gewesen, hätte sie wahrscheinlich niemand bemerkt. Aber so streckte sie ihre Arme gierig nach den beiden Kindern aus, lockte sie und lächelte ein zahnloses Lächeln. Die Furcht und die Neugierde fochten einen Kampf aus, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, wie das aussehen soll. Waren diese Gefühle etwa mit Schwertern bewaffnet? Eine Frage, die sich wohl weder Johanna noch Eli zu stellen wagten. Einen Dialog gab es trotzdem.
“Diese Tür... - die war doch vorhin noch nicht da!”
“Bist du dir sicher, dass wir sie nicht einfach immer übersehen haben?”
“Ja, ganz sicher. Und ich mag mir gar nicht vorstellen, was wohl hinter der Tür lauert.”
“Vielleicht ja eine Hexe? Oder ein Gespenst?”
“Glaubst du immer noch an so einen Irrsinn, Eli?”
Natürlich wollte sich der Junge keine Schwäche eingestehen. Mädchen gegenüber schon gar nicht. Und Johanna gegenüber am wenigsten. Deswegen waren die Worte, die aus seinem Mund quollen wie Seifenblasen, auch von leichtem Argwohn und Spott gezeichnet: “Selbstverständlich nicht. Ich dachte nur, du hättest vielleicht Angst.” Sie quittierte das mit einem genervten Augenrollen und trat zielstrebig auf die Tür zu. “Gut, wenn du ebenso mutig bist wie ich, können wir diese Tür ja ganz öffnen”, erklärte sie ihr Tun und umfasste die Klinke aus Metall mit einer Hand. Sie fühlte sich kühl an, unter ihren Fingern, und weich, als ob man sie einfach nur ein wenig eindrücken müsste, um zu erreichen, dass sie sich wie Wachs verformt. Johannas Herz schlug laut gegen ihren Brustkorb, sie war sich sicher, dass man es hören konnte. Langsam, fast schon in Zeitlupe, zog sie die Tür auf. Wäre das hier ein Thriller oder ein Horrorfilm - ich wette, die Tür hätte geknarrt. So allerdings war lediglich der Atem zu hören, der erst die Lungen und schließlich die Luft füllte.
Und dann. War sie offen. Die vermaledeite Tür.
Was dahinter war, fragt ihr euch?
Nun gut.
Es war nichts. Eigentlich.

Das wenige Licht, das sich nun von draußen gewaltsam in den Raum zwängte, reichte nicht, um ihn zu erhellen. Dafür war es viel zu dunkel. Nicht mal Fenster gab es.
“Was ist da?”, fragte Eli ängstlich. Johanna wusste zuerst keine Antwort zu geben, bevor sie ihn schließlich dazu aufforderte, es sich selbst anzusehen.
Seine Füße schlichen, das Gras fauchte.
“Es schmeckt nach Dunkelheit”, sagte Eli missmutig, während er hinter dem Mädchen hervorlugte.
“Sollen wir reingehen?”, erwiderte sie lediglich mit einem Flüstern, das auf der Haut prickelte.
Ein Ausdruck von Panik vergnügte sich in seinen Augen und er nickte. Das ist ein Widerspruch, den ich wohl nie so ganz verstehen werde. Dieser Konflikt zwischen zwei verschiedenen Wahrnehmungen. Jedenfalls kann ich euch mitteilen, dass der Raum nach wenigen Sekunden zwei Personen verschlungen hatte. Die Luft klebte an ihnen wie Zuckerguss. Die Herzen klopften einen schnellen Rhythmus, während sie sich an der Hand hielten, um sich in der Dunkelheit nicht zu verlieren.
“Da vorne.. - ist da nicht was?”
Oh ja, da war was.
Die beiden Augenpaare versuchten auszumachen, was dort mitten in der Dunkelheit freudig schillerte.

Es war riesig, dieses Etwas.
Es hatte keine Zähne und keine Krallen, keine Augen, keinen Mund.
Es konnte nicht sprechen, trotzdem redete es den lieben langen Tag nur von sich.
Man konnte es nicht berühren, anders herum ging das schon.
Es war.
Ein Wort.
Es lächelte.
Wie es hieß?

Geschichtenerzähler.

Ihr dürft eure eigenen Schlüsse ziehen.
Danke.

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Autorin / Autor: Alexandra, 13 Jahre - Stand: 15. Juni 2010