KRIEGSNACHT

Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet

5. März 1915        22.28 Uhr    Grundschule - Teupitz am See

Es regnete leicht. In der Schule war es ruhig. Aus der zweiten Etage drang ein leises Schnarchen durch das finstere Haus. Der Biologieraum war ausgeräumt. In diesem Raum schliefen die Jungs der Schule, auf der anderen Seite des Flurs schliefen die Mädchen. Die Kinder schliefen in diesem Haus, weil viele ihrer Eltern zum Krieg rekrutiert waren. Vier Lehrer bewachten die Kinder. In der Ecke des Raumes, in dem die Jungs schliefen, standen zwei Gewehre und ein Gummiknüppel, um Feinde, die hier aufkreuzen könnten, abzuwehren. Der schmale Schein der quietschenden Petroleumlampe erhellte nur den Ausgang. Alle Kinder schliefen, außer einer. Dieses Kind hieß Heinz. Heinz hatte ein eigentümliches Gefühl im Bauch, dass er diese Nacht nicht vergessen würde. Er lag am Fenster, in seine stinkende Wolldecke eingemummelt. Endlich schliefen auch die Lehrer ein, mit den Köpfen auf einem knarrenden Holztisch schnarchten sie vor sich hin. Als er das bemerkte, stand Heinz langsam und vorsichtig auf und schlich durch die angelehnte Tür in den Flur. Er starrte zum Fenster hinaus: alles war dunkel. Er starrte noch lange Löcher in die Dunkelheit. Er dachte durch das eintönige Schwarz an seine Eltern und stellte sich natürlich Fragen, wie zum Beispiel: „Wie geht es ihnen? Würden sie überleben?“ Doch bevor er zu Ende denken konnte, sah er plötzlich etwas unglaublich Gruseliges: ein sehr grelles helles Licht vom Feld kommend. Es kreiste und hielt genau in den Augen von Heinz an. Heinz erschrak so sehr, dass er schreien wollte. Aber seine Lungen waren wie verklebt. So stand er nun da. Er blinzelte genau in das Licht. Nach einer Weile gewöhnten sich seine Augen an die Helligkeit und er erkannte noch etwas viel Gruseligeres: einen Konvoi. Ein Dutzend gepanzerte Lastwagen, zwei kleine Panzer und dutzende gepanzerte kleine Autos. Aus den LKW sprangen bewaffnete Soldaten heraus und gerade, kurz bevor die Flagge eingeholt wurde, konnte er noch einen kurzen Blick erhaschen: es waren Briten. Nun versuchte er all seinen Mut zusammen zu nehmen und schaffte es, sich umzudrehen und im Schneckentempo zu den Lehrern zu gehen. Dabei traute er sich nicht mal richtig tief zu atmen. Als er einen Lehrer erreicht hatte, rüttelte er diesen bis dieser vom Stuhl fiel und hellwach aufschreckte. Heinz flüsterte: „Die Briten kommen.“ Der Lehrer begriff blitzschnell, doch die Briten waren schneller: „Attack!“ brüllte ein Soldat. Ein hallender Schuss und ein Geschoss durchdrangen den Dachstuhl: sämtliche Scheiben zersprangen in tausend Stücke, Beton rieselte von der Decke, die Petroleumlampe fiel hinunter und alle Kinder wurden gleichzeitig wach und schrieen und weinten. Nun rannten alle auf den Flur. Die beiden Lehrer versuchten noch, mit ihren Gewehren die Briten abzuwehren. Da sie aber von oben schossen, schossen sie auf die gepanzerten Helme der Soldaten. Ein Schuss aus einem Gewehr ertönte und ein Lehrer fiel blutend um. Heinz rannte nun hinaus, blieb aber kurz stehen. Er überlegte, wahrscheinlich würden die gefürchteten Briten hinten auf die Kinder warten. Also rannte er vorn herum. Als er im Treppenhaus stand, starrte er noch einmal zum zersprungenen Fenster seines Klassenraumes empor. Kein Lehrer war mehr da. Dann guckte er auf einen Panzer und sah, wie das Panzerrohr sich auf das Treppenhaus zu bewegte. Er begriff sofort und stürzte die Treppen hinunter. Unten angekommen, schmiss er sich auf den Boden. Keine Sekunde danach hörte er einen weiteren Schuss vom Panzer. Als er sich umdrehte, war kein zweiter Flügel mehr da, nur noch brennender Schutt. Plötzlich hörte er Schritte. Nicht irgendwelche Schritte, sondern Schritte von stämmigen Soldaten, die um die Ecke bogen. Er nahm seinen Rest Mut zusammen und sprang durch das Feuer. Er wälzte sich auf dem Boden, weil er das Feuer auf seinen Kleidungsstücken löschen wollte, bis er bemerkte, dass seine Kleidung gar nicht brannte. Jetzt raste er los. Er rannte und rannte und rannte. Hinter sich hörte er immer leiser die Schüsse der Panzer. Als er sich ein letztes Mal umdrehte, war kaum noch etwas von der Schule übrig, nur eine brennende Ruine. Er rannte weiter, soweit bis er nicht mehr atmen konnte. Zum Glück hörte er jetzt nicht mehr die elenden Schreie der anderen Kinder. Plötzlich waren auch vor ihm Soldaten - zum Glück unter deutscher Flagge. Einer der Soldaten salutierte und fragte: „Was ist dort hinten los?“. Heinz keuchte und flüsterte: „Briten“. Doch ehe er es aussprechen konnte, rannten schon alle mit Kriegsgebrüll los. Eine Minute danach kam ein Lastwagen. Es war ein Krankentransport. Sie nahmen Heinz auf und behandelten ihn. Diese Nacht würde er niemals in seinem ganzen Leben vergessen.

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Autorin / Autor: Carl, 13 Jahre - Stand: 15. Juni 2010