Schritte

Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet

Mal wieder war ich bei Blanche. Doch heute saß sie nicht wie immer vor dem grauen, riesigen Gebäude um auf mich zu warten. Ich ging hinein und blickte mich in der Eingangshalle um. Menschen zogen wortlos an mir vorbei. Irgendwann entdeckte ich Blanche in der Nähe vor dem Fahrstuhl. Ihr weißes, knielanges Kleid hob sich von den schwarz-grauen Fliesen ab und sie lächelte mich leicht an, als ich auf sie zukam. Sie nahm meine Hand und zog sich an ihr hoch. Sie begrüßte mich fast nie, es war nicht ihre Art viele Worte zu verlieren. Statt mit dem Aufzug zu ihrem Appartement hoch zu fahren, folgte ich ihr die Treppen hinauf. Eine Glasfassade ragte neben uns auf  und Blanche starrte unentwegt nach draußen, hielt meine Hand aber noch immer krampfhaft fest. Ich kannte die Welt dort draußen. Ich wollte sie nicht sehen, schloss die Augen und ließ mich von Blanches Berührung führen.
Irgendwann wurde das natürliche Tageslicht vom kalten Licht der Neonlampen abgelöst und ich öffnete meine Augen. Blanche war mitten auf dem Korridor stehen geblieben und wir standen vor ihrem Appartement: 702. Sie zog ihre Kette aus, daran hing ihr Schlüssel und sie schloss die Tür auf. Innen war es dunkel. Die Vorhänge waren geschlossen und allmählich hörte man wie es anfing zu regnen. Blanche ging zielsicher auf ihr  Wohnzimmer zu und vor mir erkannte ich im leicht dämmrigen Licht das typische künstlerische Chaos. Überall lagen Pinsel und Farbtuben herum, eine Staffelei stand genau darin.
Ein Bild stand darauf, es war ein Kohlebild. Ich setzte mich vorsichtig auf den Stuhl inmitten des Raumes und Blanche kam mit dem Bild auf mich zu. Sie setzte sich auf meinen Schoß und hielt mir das Bild hin. Es zeigte mich und Blanche in genau der Haltung in der wir nun saßen. Erwartungsvoll blickte Blanche mich an und ich musste über ihre großen Augen lachen. „ Es ist wunderschön, Blanche. Wann hast du es gemalt?“, fragte ich und wollt ihr das Bild wiedergeben, doch sie schüttelte den Kopf und schob es zu mir zurück.
„Irgendwann diese Nacht, ich weiß nicht mehr genau wann. Du kannst es behalten, es ist ein Geschenk“, antwortete sie und lächelte mich an.
„Dankeschön, meine Hübsche. Ich werde es in Ehren halten“, sagte ich und lächelte sie an. Mit einem Mal stand Blanche auf und ging zum Fenster. Ich wusste schon, was das hieß. Es war an der Zeit für mich zu gehen. Also erhob ich mich und verabschiedete mich kurz von ihr.
Als ich die Tür fast erreicht hatte, rief Blanche mir noch etwas hinterher: „Lässt du die Tür ein wenig angelehnt, wenn du gehst?“ Ein wenig verwundert zog ich die Tür nur leicht an und begann den Korridor hinunter zu gehen.

„Damit ich deine Schritte noch ein wenig länger hören kann…“

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Autorin / Autor: Susanne und Meike, 16 Jahre - Stand: 15. Juni 2010