Jeden Morgen

Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet

Wie jeden Morgen gehe ich diesen Weg.
Wie jeden Morgen gehe ich dieselbe dreckige Straße entlang.
Wie jeden Morgen ist es noch dunkel.
Wie jeden Morgen sehe ich eine Tür.
Wie jeden Morgen ist die Tür angelehnt.

Die Tür wurde aus dunklem, schwerem Holz gemacht und sieht schon von Weitem sehr bedrohlich aus. Immer wenn ich diese Tür sehe, möchte ich umkehren und nach Hause zurückgehen, aber ich kann und darf nicht. Denn ich muss durch diese Tür, ich muss in die Kohlemine, sonst kann meine Familie nicht leben, weil meine Eltern nicht genug verdienen.
In der Mine ist es dunkel und kalt. Dort liege ich ganz flach an den Boden gepresst und schabe Kohle und anderen Dreck von der Wand. An manchen Tagen bekomme ich dafür ein Schäufelchen, an anderen nicht. Ich bekomme dafür nur sehr wenig Geld, obwohl ich schon seit sechs Jahren unter Tage arbeite. Die Sonne kenne ich seitdem nicht mehr. Wenn ich morgens komme, ist es noch dunkel, und wenn ich nach Hause gehe, ist es häufig schon so spät, dass die Sonne wieder untergegangen ist oder es regnet.

Ich komme der Tür näher. Ich denke an die strengen Männer, die ständig schimpfen und uns Kinder sogar schlagen. Auch mich haben sie oft geschlagen, weil ich eine Pause gemacht oder mich zwischendurch gestreckt hatte. Wenn man 13 Stunden dort unten liegt, braucht man auch mal eine Pause und muss sich ab und zu mal strecken, was nicht geduldet wird.
Meine Angst vor den Männern ist riesig, ich habe deshalb auch immer Albträume. Ich schlafe schlecht, ich muss außerdem auch viel husten und habe oft Rückenschmerzen. Mir geht es nicht gut, aber das interessiert keinen. Das Wichtigste ist, dass ich arbeite.

Jetzt bin ich fast an der Tür. Ich merke, dass meine Schritte immer langsamer werden. Ich habe Angst. Den Schweiß von vielen arbeitenden Kindern kann ich riechen, die Aufseher höre ich bis hierher brüllen. Ich habe schon wieder Kopfschmerzen von dem Gedanken an die Dunkelheit, das Abschaben der Kohle von der Wand und von dem Gebrüll.

Nur noch ein paar Schritte, dann…

Plötzlich öffnet sich die Tür ganz, Georg wird grob am Ärmel gefasst und durch die Tür gezogen.

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Autorin / Autor: Elisabeth, 15 Jahre - Stand: 14. Juni 2010