Meine Gedanken sind frei

Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet

Ich stehe vor einer Tür. Sie ist nur angelehnt. Ich stoße sie auf und gehe hindurch. Ich komme in einen kleinen dunklen Raum. Er ist kärglich eingerichtet. Eine mit Stroh ausgelegte Pritsche, ein Tisch, ein Stuhl, ein Schrank. Wo bin ich? Wie bin ich hier her gekommen? Ich bin sehr erschöpft. Ich lasse mich auf die Pritsche fallen, um für ein paar Minuten die Augen zu schließen. Ich träume:

Ich sitze an meinem Schreibtisch und schreibe ein Gedicht. Ich beschließe es bei einem Wettbewerb einzuschicken. Wenig später kommt die Antwort: „Sie haben gewonnen! Ihr Gedicht wird in unserer Zeitschrift veröffentlicht!“ Einige Tage darauf bekomme ich die Zeitschrift, in der mein Gedicht abgedruckt worden ist, zugeschickt.
Der Verlag bittet mich, mein Gedicht im Rahmen einer Lesung vorzutragen. Sie findet in einer Bücherei statt. Es sind circa zehn Leute und ein Journalist da. Er interviewt mich. Der Artikel kommt in die Zeitung. Mein Verlag schickt mir mein Honorar und organisiert noch mehr Lesungen mit mir. Meine Honorare, mein Publikum und die Artikel über mich in den Zeitungen werden immer größer. Inzwischen habe ich einen  ganzen Gedichtband veröffentlicht. Mein Verlag bietet mir eine Lesung auf der Buchmesse an. Ich sage sofort zu. Es sind Menschen aus ganz Europa anwesend. Nach meinem Vortrag ist es eine halbe Minute still. Dann brechen die Leute in Jubel aus. Alle wollen ein Autogramm, viele Journalisten wollen mich interviewen und verschiedene Verlage wollen mir einen Vertrag anbieten. Ich bin reich und berühmt!

Ich öffne die Augen. Wo bin ich? Wie lange habe ich geschlafen? Was ist das für ein Raum? Ich liege auf einer mit Stroh ausgelegten Pritsche. Der Raum, in dem sie steht, ist kärglich eingerichtet: ein Stuhl, ein Tisch, ein Schrank, und meine Pritsche.
Ich gehe auf die Tür zu, kann sie aber nicht öffnen. Ich bin gefangen!!!
Ich setze mich auf die Pritsche und denke nach. Wie bin ich überhaupt in diese Zelle gekommen? Ich hatte gerade zu Hause etwas geschrieben, als es an der Türe klingelte. Ich hatte geöffnet und dann war alles sehr schnell gegangen. Die Polizei wartete draußen und meinte, sie müsse mich mitnehmen. Ich hatte beteuert, dass ich nichts getan hätte, doch sie hatten einen Haftbefehl. Meine Gedichte wären revolutionär und eine Gefahr für die Regierung. Dann haben sie mich hierher gebracht.

Inzwischen sind viele Jahre vergangen. Heute werde ich frei gelassen. Ich stehe vor der Gefängnistür. Sie ist nur angelehnt. Ich öffne sie, gehe hindurch und stehe in meinem Zimmer. Ich setze mich an meinen Schreibtisch und schreibe ein Gedicht. Ich beschließe, es bei einem Schreibwettbewerb einzuschicken. Wenig später kommt die Antwort...

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Autorin / Autor: Jannik, 12 Jahre - Stand: 14. Juni 2010