Kein Loser-Freund

Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet

Ich sah ihn das erste Mal durch den Spalt zwischen dem weißen Holzrahmen und der angelehnten Tür. Ein Streifen Mann, zusammengesetzt aus Geheimratsecken, blonden Brauen, einem durchdringenden, grünen Auge, einer völlig krummen Nase und geringelten Haaren auf der Brust. Und er trieb es mit meiner Mutter.
Das nächste, was ich dachte, war: Mama hat also einen neuen, beschissenen Loser-Freund. Niemand hat einen schlechteren Männergeschmack als meine Mutter.
Was die Situation kein bisschen änderte.
Hinter mir lag bereits ein blödes Wochenende. Am Freitag hatte mein Vater, von Mama und mir geschieden seit ich drei bin, mich mit einem spontanen Kurzurlaub nach Paris überrascht. Sein schlechtes Gewissen hatte dabei gehörig auf seinen Geldbeutel gedrückt: Am Samstag hatte er mir eine dieser albernen, französischen Mützen gekauft, eine Mappe für meine Zeichnungen aus echtem Leder, überteuerte Schuhe mit einem so hohen Absatz, dass ich keinen Meter darin hatte gehen können, sowie eine karierte Strumpfhose. Aber er hatte bloß gesagt: „Für mein Alex-Schätzchen tue ich alles.“ Außerdem hatten wir alle wichtigen Sehenswürdigkeiten besucht: Eiffelturm, Louvre, Moulin Rouge, Notre-Dame. Er hatte weiterhin nur gesagt: „Für mein Alex-Schätzchen tue ich alles.“ Manchmal hatte er diesen Satz mit den Worten „Mit dir macht alles so viel Spaß!“ oder: „Ich wünschte, wir könnten mehr Zeit miteinander verbringen.“ kombiniert. Am Sonntagabend hatte ich genug davon gehabt. Ich hatte mich aus dem Hotelzimmer gestohlen, während er neben mir geschnarcht hatte, und hatte mir den Zugang zu einem Club erschlichen. Dort hatte ich die Nacht durchgefeiert, getrunken, mich von den Bässen durch den Raum katapultieren lassen, bis ich irgendwann einsam und alleine kotzend in einer Ecke niedergesunken war. Zu allem Überfluss hatte ich mein Haar noch einmal durch mein Erbrochenes gezogen, als ich aufgestanden war, um an die frische Luft zu gelangen. Papas und mein Flug ging um sechs Uhr morgens, also war ich zum Flughafen gelaufen. Mein Vater hatte schon gewartet, aber er hatte es nicht gewagt, mir Vorwürfe zu machen.
Nach so einer Nacht machte es auch nichts mehr, im Flur von dem tierähnlichen Geächze seiner eigenen Mutter begrüßt zu werden.
Ich beobachtete sie und den Kerl eine Weile, wie sie aufeinander herumhoppelten, bevor ich unter die Dusche kletterte, um meine Haare von der Kotze rein zu waschen.
Als ich, umwickelt von dem großen Handtuch mit Tropenfischmuster, aus dem Bad trat, standen Mama und ihr Neuer bereits vor mir.
Meine Mutter trug nur ihre lila Unterwäsche. „Ich möchte dir jemanden vorstellen, mein Schatz. Das ist Tobi. Wir sind...“ Sie tauschten diesen verliebt-belämmerten Blick. „...seit kurzem ein Paar.“
„Hallo.“ Ich packte seine Hand und drückte sie so fest ich konnte. „Schön, so schnell das Gesicht zu diesem wirklich männlichen Stöhnen kennen zu lernen!“
Das trieb ihm endgültig das Grinsen aus dem Gesicht.
Mama lachte gekünstelt. „Sie meint es nicht so, Tobi. Das ist Alex‘ Art von Humor.“
Bald darauf lag Tobis Haarbürste bei uns im Bad, Mama kaufte bloß noch das Klopapier, von dem er keine Hämorriden bekam, und in unserem Kühlschrank stapelte sich sein Lieblingsjogurt. Trotzdem musste ich feststellen, dass ich ihn tatsächlich leiden konnte. Anfangs dachte ich, das läge vielleicht an seinem niedlichen Hasengebiss, oder daran, dass er Mama mehr als einmal überredete, mich bis Mitternacht unterwegs sein zu lassen, oder an der Tatsache, dass er sehr bemüht darum war, sich etwas aus mir zu machen, anders als Mamas vorige Freunde, für die ich ein lästiges Anhängsel gewesen war.
Aber meine Mutter konnte ein Drachen sein. Sie schimpfte, wenn ihre Liebhaber die Wäsche noch nicht gewaschen hatten, wenn sie am Abend nach Hause kam. Sie meckerte, wenn sie ihr das falsche Geburtstagsgeschenk machten. Sie kreischte, wenn die Typen auch nur Andeutungen zeigten, eine andere Frau kurz anzuschauen. Wie dämliche Schafe ließ sich Mann und Mann das gefallen. Dann dauerte es nicht lange und sie warf den Kerl eigenhändig aus unserer Wohnung und heulte die Wochen darauf in ein altbackenes Stofftaschentuch, dass dieser Kerl sie überhaupt nicht verdient habe.
Tobi war anders. Er spurte nicht. Er legte sich mit ihr an. Während ich mich in meinem Zimmer verkroch und ihrem Gezeter lauschte, begriff ich, dass ich Tobi mochte, weil ich von Anfang an gespürt hatte, dass er sich nichts von meiner Mutter gefallen lassen würde; dass er den Respekt, den er verdient hatte, einfordern würde.
Eines grauen Nachmittages erwischte ich Tobi dabei, wie er seufzend aus dem Fenster starrte. Er saß am Küchentisch, als würde er auf etwas Wichtiges warten.
„Ist was?“ Ich ließ mich auf den gegenüberliegenden Stuhl plumpsen.
Tobi zuckte nicht einmal mit der Wimper. Und dann sagte er schlicht: „Ich werde Eva verlassen, Alex.“
Etwas in mir, ein Gespür für die Zeit, die sich um mich herum bewegte, erstarrte vor Schreck. „Nein, bitte tu das nicht. Es tut ihr gut, jemanden zu haben, der sich von ihr nicht klein machen lässt. Wirklich.“
„Unsere Zeit ist vorüber.“ Sein Blick hangelte sich an den Kaffeflecken auf der Tischoberfläche entlang.
„Und was wird dann aus Mama und mir?“
„Alex“, sagte er sanft, „du kennst doch das Sprichwort: Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere.“ Als er mir endlich in die Augen sah, hatte ich das Gefühl, dass er mir gerade das Geheimnis der Welt offenbart hatte.
Tobi ging tatsächlich, doch das Sprichwort blieb. Es half mir zu akzeptieren, dass Veränderung zum Leben gehörte und es tröstete mich über den ersten Liebeskummer hinweg, über das Ende der Schulzeit, den Abschied von meinen geliebten Freunden und über die nächsten Loser-Freunde meiner Mutter.
Das eigentlich Lustige daran ist, dass mich der Satz, den Tobi mir mit auf den Weg gegeben hat, wieder zu den Anfängen führt: Zu der angelehnten Tür, durch die ich das erste Mal auf Mamas und meine vor uns liegende Zeit mit Tobi sah.

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Autorin / Autor: Lisa,  17 Jahre - Stand: 10. Juni 2010