Die Macht der Träume

Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet

Langsam wiegen mich die letzten Schluchzer in den Schlaf. Gleich würde ich wieder in die atemberaubende Welt eintauchen, abgeschirmt von all dem Elend, dass sich täglich auf den Straßen von Nairobi abspielt. In meiner Fantasie. Ich spüre, wie mein Blut heiß durch meine Adern strömt, Adrenalin meine Sinne vernebelt. Dann falle ich mit großer Geschwindigkeit durch einen Tunnel aus Licht und Schall. Ich lande auf einer Wiese. Es duftet nach Gras und Blumen, Schmetterlinge tollen in der Luft und die Wolken sind weiche, weiße Wattebausche auf einem klaren, sattblauen Himmel. Ein Wirbel aus Blütenstaub hüllt mich ein. Ich schließe die Augen und ein Gefühl von Geborgenheit durchströmt mich. Als ich de Augen wieder öffne, habe ich den Eindruck, zu strahlen. Alles ist wie immer, den ganzen herrlichen Rest der Nacht werde ich mich so unbeschwert und schön fühlen dürfen. Doch irgendwas ist anders als sonst. Ein Tatendrang, den ich zuvor noch nie verspürt habe, macht sich in meinem Magen breit. Erst ist es nur ein kleines Zwicken aber dann überfällt es mich und ich will mehr. Mehr von dieser, meiner Welt sehen. Mehr als immer nur die Wiese und ich weiß, dass es weitergeht. Von der Wiese aus gelange ich in einen Wald. Keinen düsteren mit Hexen und Kobolden, sondern ein heller mit vielen Tieren und blühenden Apfelbäumen. Unter einem steht eine weiß gestrichene Bank, auf die ich mich setze und mir die Sonne ins Gesicht scheinen lasse. Da steigt mir ein Geruch in die Nase. Ich kenne ihn von früher, es sind Blumen. Wunderschöne rote Rosen, die hinter mir am Baumstamm hochklettern. Früher gab es in der Nähe einen Park, der voll war mit den schönsten Blumen, aber am liebsten hatte ich immer die Rosen. Wenn ich traurig war, setzte ich mich zu ihnen, genoss ihren Duft und manchmal sprach ich auch mit ihnen. Ich glaubte, dass sie mir zuhörten, auch wenn sie nicht antworten konnten, Einmal, als ich Angst hatte nach Hause zurück zu kehren, pflückte ich mir eine ab und stach mir dabei in den Finger.
Nein. Schnell reiße ich mich aus dieser Erinnerung raus. Plötzlich will ich zurück auf die Wiese, diese Rosen beginnen mir Angst zu machen. Mit Tränen in den Augen laufe ich den Weg zurück. Aber es scheint, als hat sich alles verändert. Nirgends ist eine Wolke oder ein Schmetterling zu sehen. Ich bleibe stehen, drehe mich ein paar Mal um meine eigene Achse, schließe die Augen.
Plopp. Das Geräusch erschreckt mich. Ich mache ein paar Schritte rückwärts, stolpere fast und reiße die Augen auf. Ein paar Meter von mir entfernt ist eine Tür aufgetaucht. Einfach so. Aus dem Nichts. Sie ist schlicht schwarz, mit einem ebenso schlichten Rahmen. Und sie ist leicht angelehnt. Irgendetwas bewegt mich dazu näher ran zu gehen, obwohl ich besser weglaufen sollte.
„Komm her Franzi, ich weiß was du dir wünschst. Du sollst alles bekommen, was du möchtest“, flüstert eine angenehm süßlich klingende Stimme aus dem Innern.
„Nur ein paar Schritte noch und du wirst nie wieder aufwachen müssen, nie wieder in dein elendiges Leben zurückgehen“.
In meinem Kopf pochte es. Ich müsste nie mehr zurück? Es würde endlich vorbei sein? Moment, es muss einen Haken geben.
„Keinen Haken, es ist nur ein weiterer Schritt. Du wirst Blut vergießen müssen, aber davon ist doch schon genug geflossen. Du bist soweit und du weißt, dass du weg willst.“
Da begreife ich. Es ist genau so, wie Karo es mir erklärt hatte. Sie sagte damals, dass egal wie schlecht es mir geht, es gibt immer eine Hintertür, durch die man still verschwinden kann. Eine Art Lösung für alles. Am nächsten Tag fand man sie tot in ihrem Zimmer. Ein riesiges Chaos gab das, aber keiner hat wirklich getrauert. Hier ist man nicht befreundet, es ist eher so, dass niemand allein sein möchte. Wir hatten so wenigstens einen Tag Ruhe vor unseren Freiern.
Dasselbe Schicksal soll nun mir widerfahren? Karo hatte oft von Selbstmord gesprochen und wie viel besser es ihr dann gehen wird.
„Sie ist glücklich. Komm jetzt endlich Franziska, wir warten auf dich!“
Ein Fuß nach dem anderen, das gleißende Licht, das aus dem Türspalt rinnt, zieht mich zu sich. Jetzt nicht denken, gleich ist alles gut.

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Autorin / Autor: Fine, 15 Jahre - Stand: 14. Mai 2010