Zimmer 583

Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet

Ich hatte nie vor sie zu belauschen. Nein, ich hätte wohl nichts Gefährlicheres machen können. Aber wie hätte ich das an jenem Sonntagabend, der sich für immer in meinem Hinterkopf eingenistet hat und sich in den unpassendsten Momenten in mein Bewusstsein drängt, schon wissen sollen? Dabei hatte der Abend in dem so liebevoll eingerichteten Restaurant unseres Hotels so harmlos angefangen… Zusammen mit meiner Familie ließ ich gerade die anstrengende Radtour unseres Urlaubsbeginnes Revue passieren, als ich das Fehlen meines Handys bemerkte. „Kein Problem, ich laufe schnell aufs Zimmer und nehme es“, verkündete ich damals. In dem Moment konnte ich noch nicht ahnen, dass ich diese Entscheidung mein Leben lang verfluchen würde.

An den leicht muffig riechenden, scheinbar nie endenden Flur der fünften Etage kann ich mich noch gut erinnern. Während mir bei dem Gedanken an das kulinarische Abendbuffet schon das Wasser im Mund zusammenlief, bemerkte ich die rauchige Stimme nicht sofort. Doch sie wurde mit jedem Schritt deutlicher, bis sie meine Aufmerksamkeit vollends auf sich gezogen hat. „Mir gehört es wirklich nicht.“, glaubte ich zu verstehen. „Tatsächlich? Mir nämlich auch nicht“, erwiderte eine raue Männerstimme. Ein leises Poltern ließ nichts Gutes verheißen. Augenblicklich erstarrte ich und suchte mit erschrockenem Blick nach der Geräuschquelle. Wenige Sekunden später blieben meine Augen an der leicht geöffneten Tür unseres Nachbarzimmers hängen, aus der nun ein unregelmäßiges Scharren tönte. Irgendetwas stimmte hier nicht! Unbewusst hielt ich den Atem an und lauschte der höhnischen Stimme: „Aber dein sogenannter Arbeitskollege besitzt doch so eins, nicht wahr? Vielleicht hat er es bei einem eurer kleinen Privattreffen liegen lassen?!“ Die letzten Worte wurden von unterdrückten Schluchzern begleitet. „Bitte, lass mich. Du weißt doch gar nicht was du da redest!“ Der panische Unterton der Stimme ließ mich erschauern. Dennoch konnte ich meinen starren Blick nicht von der langsam verschwimmenden Aufschrift 583 der Zimmertür lösen. „Du hast doch getrunken!“, hörte ich ein fast schon unmenschliches Piepsen.

Das war eindeutig genug für mich. Dieser Streit war definitiv nichts, in das ich mich einmischen sollte. Mit zitternden Beinen schlich ich zu unserer Zimmertür und drehte den Schlüssel vorsichtig um. So leise wie möglich öffnete ich die knarrende Tür und betrat unser Zimmer. Nicht leise genug. Ich spürte den eiskalten Blick, bevor ich ihn durch die zuschwingende Tür hinter mir sah. Eine hochgewachsene Figur lehnte am Türrahmen des Raumes 583 und starrte für den Bruchteil einer Sekunde hasserfüllt in meine Richtung. Doch im nächsten Moment fiel die Tür vor mir mit einem lauten Knall ins Schloss. Ungläubig schüttelte ich den Kopf und versuchte meinen rasenden Herzschlag zu beruhigen, bevor ich mein Handy in die Tasche steckte und mich mit gemischten Gefühlen auf den Rückweg ins Restaurant machte.

Drei Minuten später war der seltsame Streit und die inzwischen wieder verschlossene Zimmertür vergessen. Wahrscheinlich hätte ich keinen weiteren Gedanken an den Vorfall verwendet, hätte mich die Hotelbesitzerin nicht am nächsten Abend mit bedrücktem Gesichtsausdruck über den „überraschenden Tod eines allein reisenden Gastes in Zimmer 583“ aufgeklärt. Mir wurde schwarz vor Augen und ich musste mich an der Rezeption festhalten, um nicht umzukippen. Doch ich blieb still. Die Gefahr, in die ich mich durch eine Aussage begeben hätte, war mir zu groß. So sehr ich mich auch bemühe, mir wird es wohl nie mehr gelingen, die kalten Augen, die mich jederzeit wiedererkennen könnten, aus meinem Gedächtnis zu verbannen. So haben ein vergessenes Handy und eine angelehnte Tür meinem Leben für immer eine traumatische Erinnerung beschert.

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Autorin / Autor: Vanessa, 15 Jahre - Stand: 17. Mai 2010