Eine ungewöhnliche Nacht

Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet

Ich öffne die Augen. Draußen ist es stockdunkel. Nach gefühlten zwei Stunden Schlaf richte ich mich auf und ziehe mich so leise wie möglich an. Wenn ich an mein Vorhaben denke, bekomme ich jetzt schon Bauchschmerzen. „Es wird schon alles gut gehen“, hat Moni gesagt. Wenn ich ihr doch nur Glauben schenken könnte. Doch irgendetwas in mir zweifelt an ihrer Aussage. Mein Kopf sagt: „Du bist doch verrückt, gehe sofort wieder zurück ins Bett und mach keine Dummheiten!“ - ich wünschte ich könnte auf ihn hören. Doch mein Herz sagt mir etwas anderes: „Du musst es tun, das bist du ihr schuldig!“

Ich schaue auf den Wecker, 03.30 Uhr zeigt er an, jetzt 03.31. Ich muss gehen. Ich nehme meinen schon seit Tagen gepackten Rucksack und schaue noch ein letztes Mal in mein Zimmer zurück. Alles könnte so perfekt sein, ich könnte jetzt in meinem Bett liegen, ausschlafen und morgen schön mit meinen Eltern frühstücken. Meine Eltern- werde ich sie vielleicht nie wieder sehen? „So darfst du gar nicht erst denken, Julia“ rede ich mir streng ein. Ein letzter Blick auf meinen Wecker sagt mir, dass ich los muss. So leise wie möglich schleiche ich die Treppe hinunter und öffne die Haustür. Ein kühler Windstoß kommt mir entgegen- ich friere, doch irgendwie habe ich das Gefühl, er gibt mir Mut. Leise schließe ich die Tür und laufe los. Alles ist still, das ganze Dorf schläft. Nirgends ist ein Auto zu sehen, geschweige denn ein Menschen. Dennoch merke ich, wie meine Schritte schneller werden. Ich höre meinen immer schneller werdenden Atem. „Du musst ruhig bleiben!“ flüstere ich immer wieder zu mir. Die Dunkelheit macht mir zu schaffen. Früher wäre ich nie alleine aus dem Haus gegangen, als es dunkel war. Doch jetzt ist nicht mehr früher- jetzt ist die Realität- und darauf muss ich mich konzentrieren. Ein normales 15 -jähriges Mädchen käme nie auf die Idee sich nachts heimlich aus dem Bett zu schleichen. Doch ich bin eben nicht normal. Da bin ich mir sicher. Je länger ich laufe, je kälter wird mir. Ich sehe schwarze Umrisse der Bäume. Ich weiß, dass ich richig bin. Mein Gespräch mit Moni geht mir nicht mehr aus dem Kopf. „Du bist die einzige, die es schaffen kann, Julia! Alle hoffen nur auf dich, es hängt von dir ab - für Ina!“ Ich weiß, das sie Recht hat, dennoch will ich es nicht wahr haben.

Bald habe ich mein Ziel erreicht. Ich spüre, wie mein Puls in den Adern schlägt…ich spüre jeden Schlag.

Nach zehn Minuten stehe ich vor einem großen, alten Fabrikgelände. Nun ist die Zeit gekommen. Entweder alles oder nichts. Ich schlucke noch einmal meine so groß vorhandene Angst herunter und gehe Schritt für Schritt näher auf das alte Gebäude zu. Ich nehme meinen Rucksack ab und hole eine Taschenlampe und das Taschenmesser meines Vaters heraus. Ganz leise stehe ich vor dem Zaun, der das alte Gebäude umkreist. Gekonnt schneide ich den Zaun durch. Masche um Masche. Moni hat mir im Voraus gesagt, wie das am besten geht. Ich bin stolz auf mich, als ein kleines Loch zum durchschlupfen entstanden ist. Ich stecke das Messer wieder ein und schlupfe durch den Zaun. Das bis jetzt gute Gelingen gibt mir neuen Mut. Jedoch war das auch erst der Anfang. „Wenn du den Zaun überwunden hast, gehe leise zum Eingang der Fabrik. Doch pass auf, du weißt, wenn sie dich sehen, werden sich alles tun, dich nicht mehr entkommen zu lassen.“

Nun bin ich an der großen Metalltüre angekommen. Sie steht offen. Auf dem Weg zu ihr bin ich durch Gestrüpp geschlichen. Ich schaue an meine Beine und sehe Blut. Die Dornen haben meine Beine zerkratzt. Ich wundere mich, dass es nicht schmerzt. Ich glaube, Angst betäubt. Ich habe Angst vor den Männern, doch ich weiß, dass sie sich heute hier treffen. Lange genug haben Moni und ich sie beobachtet. Und heute wird der große Tag kommen, an dem wir sie entlarven. Seitdem unsere Freundin Ina an einer Drogenüberdosis gestorben ist, haben wir uns geschworen Rache zu nehmen. An den Männern, die ihr das angetan haben! Doch die Polizei hat uns nicht geglaubt- „Wir haben keine Zeit für Kinderdedektivspielchen“, hat uns der gestresste Polizist gesagt. „Ohne Beweise, könnt ihr eh nichts bewirken!“ Doch wir lassen Inas Tod nicht einfach als „Medikamentenvergiftung und Selbstmord“ dastehen. Wir werden sie live beim schmuggeln und konsumieren filmen und es dann der Polizei zeigen. Dann müssen sie uns glauben! Nein- nicht wir, sondern ich werde sie filmen.

„Du musst dich beeilen“ höre ich mich sagen und schleiche durch die Metalltüre. In der großen Fabrikhalle riecht es ziemlich stark nach Vermoderung. Alles ist dunkel bis auf -und mein Herz machte in dem Moment einen Hüpfer- eine Tür ganz weit hinten. Sie ist angelehnt und durch den Spalt dringt Licht. Ich kann nun auch Stimmen hören. Überall auf meinem Körper bildet sich Gänsehaut. Ich hole die Kamera aus meinem Rucksack und ganz leise schleiche ich zu der angelehnten Tür. Was ist, wenn sie mich entdecken? Egal, „Für Ina „denke ich und nehme meinen ganzen Mut zusammen und öffne langsam die Tür. Gerade so viel, dass meine Kamera durchpasst. Ich höre, wie eine dunkle Männerstimme sagt: „ Gib mir endlich das Zeug“. Ich stecke die Kamera noch weiter in den Raum, um alles genau zu dokumentieren. Ich merke, wie meine Knie nass werden, als ich an der angelehnten Türe knie -doch plötzlich bleibt mir das Herz stehen. Ich höre Schritte auf mich zukommen und einer schreit „Was ist denn das an der Tür?“ Ich habe Todesangst, ich werde sterben, sie kommen auf mich zu garannt…

Der Wecker klingelt. Es ist dunkel. Ich mache die Augen auf und spüre, dass ich schweißgebadet im Bett liege. Es ist 03.30 Uhr. Ich muss es tun- für Ina! Doch ich werde mehr aufpassen. Zur Sicherheit schreibe ich noch einen kurzen Abschiedsbrief an meine Eltern- Ich zittere immer noch am ganzen Körper. Doch mir bleibt keine andere Wahl. Ina darf nicht umsonst gestorben sein!

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Autorin / Autor: einradfreak, 17 Jahre - Stand: 3. Mai 2010