Kapitel 3

Dragosia - Die Macht der Elemente
Ein Fortsetzungroman von Rita Solis


Enya kauerte verzweifelt auf dem Boden und raufte sich ihre Haare, die ohnehin bereits in alle Richtungen abstanden. Warum sollte sie mir auch glauben? Ich glaube es ja schließlich selbst nicht!, fuhr es ihr durch den Kopf.
„Und? Hat es dir geholfen, dieses Ding zu benutzen, Enya?“, fragte die weiße, kugelige Gestalt verächtlich, nur um danach erschrocken die Augen zu weiten.
Wie bitte? Enya stand ruckartig auf: „Woher weißt du meinen Namen?“
„Oh, Entarna! Immer muss irgendetwas schieflaufen!“, schimpfte das sonderbare Geschöpf. Dann sah es nach rechts und links, als ob sie in diesem Augenblick beobachtet wurden, und sagte leise: „Ich werde dir jetzt einfach alles erklären. Hör zu. Du weißt doch bestimmt, was ein Drache ist.“
Enya nickte.
„Gut. Dieser Drago, den ich erwähnt habe, ist ein Drache.“
„Was du nicht sagst.“
„Halte deine Zunge im Zaum! Vor langer, langer Zeit, genaugenommen vor mehreren Jahrtausenden, da gab es überall Drachen.“ Er plusterte stolz das Brustfell auf. „Ich kann mich noch ganz genau erinnern.“
„Moment mal!“, fuhr Enya dazwischen, „dann musst du aber unendlich alt sein!“
„Aber ja doch“, erwiderte die Fellkugel wie selbstverständlich. „Ich bin der Wächter der Gesetze Dragosias. Mich und Drago gab es schon immer, und es wird uns auch immer geben. Wir sind unsterblich. Nur mit der Klinge eines Diamanten kann man uns vernichten.“ Er kniff die Augen zusammen. „Hast du vorhin eigentlich zugehört? Ich sagte doch, mir stünde alle Zeit der Welt zur Verfügung!“ Enya klappte der Mund auf und wieder zu. Plum hob kurz die Augenbrauen, fuhr dann aber fort: „In Ordnung. Beginnen wir von vorn. Nachdem uns die Menschen entdeckt hatten, begannen sie, die Drachen zu töten, weil sie die unbegründete Angst hatten, dass sie ihre Jungen stehlen und ihre Bauten zerstören würden. Damals war Drago nicht nur der Oberste Berater Dragosias, sondern auch über alle Drachen. Er befahl ihnen, sich in Menschen zu verwandeln, damit sie sich ihnen anschlossen.“
Enya runzelte die Stirn. „Nehmen wir mal an, ich glaube dir diese Geschichte: Warum sollten sie sich den Menschen anschließen?“
„Um nicht wie Drachen auszusehen, und somit nicht getötet zu werden.“
„Ist das nicht eigentlich… feige?“
Der Fellball blickte sie entrüstet an: „Nein! Die Menschen waren in der Übermacht. Drago wollte sein Volk beschützen!
Und jetzt unterbreche mich bitte nicht mehr, klar? Gut. Drago selbst verwandelte sich nicht zu einem Menschen. Er beherrscht die Macht der Elemente; das heißt, er kann Dinge, die durch Feuer, Wasser, Luft und Erde zustande kommen, beeinflussen. Wenn also beispielsweise ein Tsunami entsteht, kann er ihn so hemmen, dass er nur seine halbe Größe erreicht.
Diese Macht wurde ihm in die Wiege gelegt. Und er kann sie nur in Gestalt eines Drachen verwalten. Wenn er sich für eine lange Zeitspanne in einen Menschen verwandelt hätte, wäre die gesamte Erde zusammengebrochen. Durch verändertes Klima und Naturkatastrophen, du weißt schon.
Mit der Zeit wurde Dragos Magie größer. Er isolierte sein Reich von der Außenwelt. Die fantastische Welt blieb hier in Dragosia. Rundherum veränderte sie sich, bis sie so aussah, wie du sie heute kennst.“ Das Wesen kicherte. „Kaum zu glauben, aber früher sah es in eurer Welt genauso aus wie hier!“
Dann erzählte es rasch weiter: „Nun ja. Jahrtausende um Jahrtausende vergingen. Viele, viele Tage später sah Drago durch die undurchdringlichen, für euch nicht sichtbaren Mauern von Dragosia und beobachtete, wie ihr mit eurer wahnsinnigen Suche nach Erdöl die Erde zerstört. Und dann hatte er eine bahnbrechende Idee. Er beschloss, die Macht der Elemente in vier Teile aufzuspalten und einen Teil jeweils einem Menschenkind zu übergeben, um zu sehen, ob er sich in ihrem Charakter nicht getäuscht hat. Denn wenn er sich nicht täuscht, wird er die Welt der Menschen zerstören, die Mauern sprengen, und es wird nur noch Dragosia geben!“
Ist er verrückt? Enya riss erschrocken die Augen auf und rief: „Das kann er doch nicht machen! Er kann doch nicht einfach eine ganze Zivilisation auslöschen!“
„Das musst du Drago erklären. Du bist eine der vier Auserwählten, Enya. Du bist die einzige Hoffnung für deine Art, auch wenn du von den Drachen abstammst. Jawohl, Drago hat bewusst heranwachsende Menschen auserwählt, in denen noch etwas Drachenblut fließt. Um eure Chancen zu verbessern, denn er denkt, Drachen seien ehrenhafter als Menschen.“ Er ließ eine Pause. „Ich bin in die Menschenwelt gegangen, um dich zu suchen, und ich brauchte dich noch nicht einmal hierher zu locken. Du fühltest dich schon ohne zusätzliche Hilfe der magischen Welt angezogen. Ich brauchte nur hier auf dich zu warten. Aber der Rest liegt bei dir.“
Enya ließ sich resigniert zu Boden sinken. „Welches Element bekomme ich?“
„Das Feuer. Es ist das mächtigste Element im Kampf.“
„Wie meinst du das?“
„Am Ende deiner Ausbildung wirst du gegen Amariter kämpfen, das ist eine Zauberin, die aus eurer Welt stammt und Dragosia bedroht. Wenn du gewinnst, hast du deine Welt vollständig gerettet.“
„Na toll“, seufzte sie auf. So richtig kann ich das Ganze noch nicht glauben… Dann warf sie grinsend einen Blick auf den Fellball: „Ich habe noch eine Frage. Wie heißt du überhaupt?“
„Ich heiße Plum.“
„Du weißt schon, dass das im Englischen ein Obst ist?“, merkte Enya an.
„Das ist mir völlig egal“, behauptete Plum nur.
„Kann ich jetzt nach Hause?“, hakte sie nach.
„Nein. Ich bringe dich nun zu Drago. Steh auf.“
Na toll. Enya gehorchte und fragte unsicher: „Und danach?“
„Danach schon. Vorerst.“
Sie holte tief Luft, lockerte ihre Beine und sagte dann trotz Plums irritiertem Gesichtsausdruck fest: „Dann lass es uns angehen. Lass uns die Welt retten.“

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