Das Auge hört mit

Warum Europäer_innen mit dem Blick auf die Lippen Sprache besser verstehen - Japaner_innen aber nicht

Auf welchen Teil des Gesichts schaust du, wenn du deinem Gegenüber zuhörst? Vermutlich auf die Lippen! Europäer_innen hören nämlich meist mit den Augen mit, wie Forscher_innen der japanischen Kumamoto University herausgefunden haben. Japanische Muttersprachler_innen hingegen achten kaum auf die Lippenbewegungen ihrer Mitmenschen. Sie konzentrieren sich viel mehr auf das Gehörte und würden vermutlich am liebsten die Augen geschlossen halten.

Um dieses Phänomen zu untersuchen, spielten die Forscher_innen um Kaoru Sekiyama 20 englischen und 20 japanischen Muttersprachlern unterschiedliche Videos vor. Dabei hielten sie mithilfe eines Eyetrackers die Blickrichtung der Testpersonen fest und analysierten mittels Magnetresonanztomographie zusätzlich ihre Hirnströme, um zu sehen, welche Areale bei der Sprachverarbeitung besonders stark reagierten.

Die Auswertung zeigte deutliche Unterschiede zwischen Japanern und Europäern. Die Europäer_innen hingen den gezeigten Personen quasi an den Lippen – und das schon bevor diese anfingen zu sprechen. Die Japaner_innen hingegen fixierten ihren Blick nicht auf einen bestimmten Punkt. Das wirkte sich auch auf das Verständnis aus: Die englischen Muttersprachler_innen verstanden das Gesprochene schneller, wenn Ton und Bild vorhanden waren. Die Japaner_innen brauchten mehr Zeit, wenn sie sich auf die gezeigte Person und die gehörte Sprache gleichzeitig konzentrieren mussten. Sie konzentrierten sich mehr auf das Gehörte. Um zusätzlich visuelle Informationen zu verarbeiten, schienen sie extra Zeit zu benötigen. Im Vorteil waren sie dafür, wenn nur eine Tonaufnahme abgespielt wurde, ohne Bild. Hier verstanden die Japaner_innen das Gesprochene schneller als die Europäer_innen.
Diese Ergebnisse spiegelten sich auch in den Hirnscans wider. Bei den Europäern war die Verbindung zwischen dem Bereich des Gehirns, der das Gehörte verarbeite und dem, der für visuelle Informationsverarbeitung zuständig ist, deutlich stärker als bei den Japanern.

Der kulturelle Hintergrund beeinflusst also offensichtlich, wie wir Sprache verarbeiten. Europäer_innen lernen eine Fremdsprache demnach leichter mit Sprachvideos, Japaner_innen sind mit reinen Sprachaufnahmen vermutlich erfolgreicher.

Quelle

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Autorin / Autor: Redaktion - Stand: 22. November 2016