Blick in die Zukunft? Nein danke!

Studie zeigt, dass die meisten Menschen lieber doch nicht wissen wollen, was auf sie zukommt

Mädchen hält sich die Augen zu

Ach, wenn ich doch nur wüsste, ob dieses Jahr die große Liebe auf mich wartet, oder ein unerwarteter Geldregen, oder ein neuer, toller Job... Wie leichtfertig wir oft dahin sagen, dass wir gerne in die Zukunft gucken würden. Hätten wir aber tatsächlich die Möglichkeit dazu, würden die meisten von uns lieber doch nicht wissen wollen, was das Leben für uns bereithält. Auch dann nicht, wenn es etwas Positives sein könnte. Dies zeigt eine aktuelle Studie von Wissenschaftler_innen des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und der Universität Granada.

*Sehergabe nicht erwünscht*
„In der griechischen Mythologie hatte Kassandra, die Tochter des trojanischen Königs, die Gabe, in die Zukunft sehen zu können. Aber sie war auch dazu verflucht, dass niemand ihren Prophezeiungen Glauben schenkte“, sagt Gerd Gigerenzer, Erstautor der Studie und Direktor des Forschungsbereichs „Adaptives Verhalten und Kognition“ am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. „In unserer Studie haben wir herausgefunden, dass Menschen die Sehergabe, die Kassandra berühmt machte, eher ablehnen und auf Wissen über ihre persönliche Zukunft verzichten würden. Dahinter steht das Bestreben, mögliches Leid und Bedauern zu umgehen, welches das Wissen über die Zukunft mit sich bringen könnte. Gleichzeitig möchten sie sich aber auch die freudige Spannung von schönen Erlebnissen erhalten.“

*Willentliche Ignoranz*
Mehr als 2.000 Erwachsene in Deutschland und Spanien hatten die Forscher_innen befragt, ob sie über bevorstehende negative Ereignisse bescheid wissen wollten. 86 bis 90 Prozent von ihnen verneinten diese Frage. Aber 40 bis 77 Prozent gaben an, auch über bevorstehende positive Ereignisse lieber im Ungewissen bleiben zu wollen. Die Wissenschaft nennt das Phänomen willentliche Ignoranz (engl. deliberate ignorance). Das bedeutet, dass wir uns bewusst dafür entscheiden, die Antwort auf eine Frage, die uns persönlich betrifft, nicht wissen zu wollen. Nur 1 Prozent aller Befragten würde konsequent gerne wissen, was die Zukunft bereithält.

*Versicherungen freuen sich*
Eine weitere Entdeckung der Wissenschaftler_innen war, dass Menschen, die nichts über ihre Zukunft wissen möchten, auch risikoscheuer sind und deshalb häufiger Lebens- und Rechtsschutzversicherungen abschließen. „Das legt nahe, dass Menschen, die Wissen über die Zukunft willentlich ignorieren, erwarten, unangenehme Nachrichten zu erhalten“, so Gigerenzer weiter. Auch der Zeitpunkt, an dem ein Ereignis in der Zukunft eintreten könnte, spielt eine Rolle: Je näher das mögliche Ereignis an die Gegenwart heranrückt, desto weniger wollten die Befragten etwas darüber wissen. So winkten zum Beispiel ältere im Vergleich zu jüngeren Erwachsenen öfter ab, wissen zu wollen, wann und woran ihr_e Partner_in sterben wird.

*Nur das Geschlecht des eigenen Kindes soll kein Geheimnis bleiben*
Die Studienteilnehmer_innen wurden zu einer Reihe von möglichen Ereignissen – positiven wie negativen – befragt. So zum Beispiel, ob sie wissen wollten, welche Mannschaft ein Fußballspiel gewinnt, das sie später noch sehen wollten, was sie zu Weihnachten geschenkt bekommen, ob es ein Leben nach dem Tod gibt oder ihre Ehe in einer Scheidung endet. Das Geschlecht ihres ungeborenen Kindes war das Einzige, das die Mehrzahl der Befragten vorab wissen wollte, nur 37 Prozent möchten sich lieber überraschen lassen.

*Weitverbreitete Haltung*
Obwohl die in Deutschland und Spanien lebenden Menschen sich in Alter, Bildung und anderen wichtigen Aspekten unterschieden, war das Muster der willentlichen Ignoranz in beiden Ländern gleichermaßen verbreitet. „Wissen zu wollen, scheint der Normalzustand der Menschheit zu sein und bedarf keiner Rechtfertigung. Menschen sind nicht nur dazu eingeladen, von ihnen wird auch oft erwartet, an Krebsfrüherkennungsmaßnahmen oder regulären Gesundheitschecks teilzunehmen, ihr ungeborenes Baby einer Reihe von pränatalen Gentests zu unterziehen oder Self-Tracking-Geräte zur Messung der eigenen Gesundheit zu nutzen“, sagt Gigerenzer. „Die willentliche Ignoranz von Menschen scheint vor diesem Hintergrund nicht einleuchtend und mag Stirnrunzeln verursachen. Aber wie wir in unserer Studie zeigen konnten, existiert sie nicht nur, sondern ist auch eine weitverbreitete Haltung.“

Die Studie erschien in der Fachzeitschrift Psychological Review.

Quelle:

Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 24. Februar 2017