„Hast du mal ein Tampon?“

Simone ist sonst immer auf alles vorbereitet, aber die nützlichen Erfindungen für die gewissen Tage vergisst sie gerne

Man sollte meinen, dass ich immer auf alles vorbereitet bin. Ich bin persönliche Assistenz, natürlich plane ich weit voraus, kalkuliere alle Eventualitäten. Auf halbstündige Zugfahrten nehme ich mehr mit als Expertenteams in die Antarktis rüber oder den Mount Everest hinauf schleppen. Ich habe ein fotografisches Gedächtnis, was Ort, Zeit und Teilnehmer mancher Termine betrifft – und weiß natürlich auch noch die Namen der Kinder der Teilnehmer. Und dennoch vergesse ich immer etwas – immer dasselbe. Wahrscheinlich, weil meine Regel nicht regelmäßig kommt. Mein Körper ist noch eigensinniger als mein Geist, noch sprunghafter. „Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt“ passt bei keinem Menschen besser als bei mir – manchmal bin ich beides gleichzeitig. Der Mund jauchzt, die Füße sind betrübt. Ich schwanke zwischen alle Extremen, auch ohne zu menstruieren.

Deswegen vergesse ich also auch gerne die sonst so nützlichen Erfindungen für die gewissen Tage. Weil ich selten damit rechne. Natürlich wird man dann auch oft böse überrascht. Ausgerechnet an den Tagen, an denen man wirklich den Besuch der Tante aus Amerika einkalkulieren könnte (man ist seit zwei Wochen überfällig, Schwangerschaft ausgeschlossen und die Haare wollen auf einmal auch täglich gewaschen werden), fährt man ohne etwas eingepackt zu haben in die Ferien. Oder auf ein Festival. Doch der Unterschied, wenn man im Dixi überrascht wird, zu alltäglichen Situationen im Büro (man hat viel zu früh ein Ei springen lassen und befindet sich zwei Wochen später in seiner üblichen, langweiligen Routine, in der die Tage gerade mehr als ungünstig sind) ist, dass man auf einem Rockfestival mehr Möglichkeiten hat, sich zu behelfen.

„Hast du mal ein Tampon?“
„Nee, aber Klopapier hätt‘ ich.“
Also nehme ich dem fremden Mädchen dankbar ein paar Blätter Klopapier ab und spiele „Feuchtgebiete“. Hätte ich mehr Energie in die Suche investiert, hätte ich sicher noch eine Musikgleichgesinnte gefunden, die mir aushelfen könnte. Aber bei 30.000 Besuchern kann man ja davon ausgehen, nicht automatisch durch ein Klopapierexperiment zur abstoßendsten Person auf dem Campingplatz gewählt zu werden.

Im Büro sieht die Situation natürlich ganz anders aus. Da kann man nicht einfach vor die Tür treten und heraus posaunen, ob mal jemand eine Binde zur Hand hätte – hauptsächlich, weil ich in einer Männerdomäne arbeite und nur wenige, spezielle Frauen mit mir das Büro teilen. Da heißt es sorgsames Aussortieren.
Die Frau, die grundsätzlich immer vor einem am Kaffeeautomaten ist? Fällt flach. Die ist zu perfekt, um ihre Tage zu bekommen. Die atmet wahrscheinlich noch nicht einmal wie wir anderen.

Die nette Praktikantin, kaum älter als man selber? Die drängt einem sicher ein Gespräch auf, das war schon das letzte Mal bei der Aspirin-Suche der Fall.
Oh, dann ist da noch die „beste Freundin“ unter den Kolleginnen vom Stockwerk über mir, mit der ich eh gleich zum Essen verabredet bin. Bis dahin muss ich eben der Slipeinlage gute Gedanken schicken, die wird schon herhalten.
„Sag mal …“, schneide ich also in ihre Triade gegen ihren Freund, „den Trottel“, ein, „Kann ich nachher noch mit zu dir rauf und mir ein Tampon von dir geben lassen?“

Sie hält in ihrer Bewegung inne wie eingefroren. Die Gabel bleibt in der Luft schweben. Wie ein Pferd, das sich angegriffen fühlt, drehen sich ihre Pupillen zur Seite, sie zeigt mir so das Weiße in ihren Augen. Gruselig. Ja, ja, da sitzt noch jemand, wir haben einen Vierer-Tisch besetzt und der arme Kerl hat sonst nirgends Anschluss gefunden. Wahrscheinlich denkt er über seinem Linseneintopf auch gerade über zweitklassige Pornos nach und hat uns nicht mal zugehört.
„Also, was ist?“, höre ich mich noch sagen, während mir mein Verstand befiehlt, aufzuhören, denn wir sind ja wohl erzogen und wollen niemanden auf den Schlips treten. „Aber der hört uns eh nicht zu!“, sagt der Teil in meinem Inneren, der für Ignoranz zuständig ist (der auch immer dafür sorgt, dass ich ohne Binden auf Konzerte fahre), zu meinem Verstand. Und meine Kollegin, mittlerweile leichenblass, schüttelt langsam den Kopf. „Ich hab nichts dabei“, formt sie mit den Lippen, als hätte ich sie um Koks angehauen.

Ich wäge alles gegeneinander ab. Soll ich sie nun fragen, ob sie wen wüsste, der mir weiterhelfen könnte, der nicht so ignorant gegenüber sich selbst ist und was dabei hat? Soll ich Rücksicht auf ihr Schamgefühl nehmen und ihr nachher mailen? Soll ich vielleicht gar den armen Tropf fragen, weil er im Gegensatz zu meiner Kollegin noch einen ruhigen Puls hat – vielleicht hat er auch eine gut ausgestattete Chefin?
Aber ich beschließe, einfach die Klappe zu halten, auf meine Slipeinlage zu hoffen … und ein Tampon in meiner Handtasche fest zu tackern, sobald ich zu Hause bin. Ich will ja nicht, dass sie mir die Freundschaft kündigt, nur weil sie prüder erzogen wurde als ich. Und auch sonst besser vorbereitet als ich, die „gute Vorbereitung“ eigentlich in der job description stehen hat …

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Autorin / Autor: Simone